Der siebte Schrein
zurück.
Ryne sagte etwas davon, daß sie heute abend einen Zug durch die Tavernen machen sollten, aber Lan hörte es kaum. Er lief rasch durch die Küche, in der es heiß war von Öfen aus Gußeisen und Öfen aus Stein und offenen Kaminfeuern, hinaus in die Kühle des Stallhofs und den Geruch von Pferden, Heu und Holzrauch. Eine Graulerche trällerte am Rand des Stalldachs. Graulerchen kamen im Frühling noch vor den Rotkehlchen zurück. Graulerchen hatten in Fal Moran gesungen, als Edeyn ihm zum erstenmal ins Ohr geflüstert hatte.
Die Pferde standen bereits in den Ställen, Zaumzeug und Sättel und Packsattel hingen auf Satteldecken an der Stalltür, aber die Weidenkörbe waren fort. Offenbar hatte Frau Arovni die Stallburschen wissen lassen, daß er und Bukama Zimmer bekämen.
Es hielt sich nur eine einzige Bedienstete in dem Stall auf, eine hagere Frau mit verkniffenem Gesicht, die ausmistete. Sie sah ihm, während sie weiterarbeitete, stumm zu, wie er nach Katzentänzer und den anderen Pferden schaute, sah zu, wie er auf der gesamten Länge des strohbedeckten Bodens auf und ab schritt. Er versuchte nachzudenken, aber Edeyns Name ging ihm immer wieder durch den Kopf. Edeyns Gesicht, von seidigem schwarzem Haar umrahmt, das ihr bis unter die Taille reichte, ein wunderschönes Gesicht mit großen, dunklen Augen, die die Seele eines Mannes selbst dann trinken konnte, wenn sie befehlsgewohnt blickten.
Nach einer Weile murmelte die Bedienstete etwas in seine Richtung, berührte Lippen und Stirn, schob hastig ihre halb gefüllte Schubkarre aus dem Stall und warf ihm über die Schulter einen Blick zu. Sie blieb stehen, um die Tür zuzumachen, ebenfalls hastig, und schloß ihn in einem Halbdunkel ein, das lediglich durch ein wenig Licht von offenen Heutüren auf dem Schober etwas erhellt wurde. Staubkörnchen tanzten in den blaßgoldenen Schächten.
Lan verzog das Gesicht. Hatte sie solche Angst vor einem Mann, der das Hadori trug? Faßte sie sein Aufundabschreiten als Drohung auf? Plötzlich merkte er, daß er mit den Händen über den langen Schwertgriff strich, daß sein Gesicht angespannt war. Aufundabschreiten? Nein, er hatte die Haltung eingenommen, die als »Leopard im hohen Gras« bezeichnet und benutzt wurde, wenn man auf allen Seiten von Feinden umgeben war. Er mußte sich beruhigen.
Er setzte sich im Schneidersitz auf einen Strohballen, ließ das Bild einer Flamme vor seinem geistigen Auge erstehen und führte ihr alle Emotionen zu - Haß, Furcht, alles, jedes Krümelchen, bis es schien, als schwebte er in der Leere. Nach jahrelanger Übung brauchte er keinen Herzschlag mehr, um Ko´di, das Eins-Sein, zu erreichen. Gedanken und sogar sein eigener Körper schienen fern zu sein, aber in diesem Zustand war seine Wahrnehmung besser denn je, er wurde eins mit dem Strohballen unter sich, dem Schwert in der Scheide, das hinter ihm lag. Er konnte »spüren«, wie die Pferde aus ihren Krippen fraßen und Fliegen in den Ecken summten. Sie alle waren Teil von ihm. Besonders das Schwert. Aber diesmal suchte er nur die gefühllose Leere.
Aus dem Beutel an seinem Gürtel holte er einen schweren goldenen Siegelring, der einen fliegenden Kranich zeigte, und drehte ihn unablässig zwischen den Fingern. Der Ring der Könige von Malkieri, der von Männern getragen wurde, die den Schatten neunhundert Jahre und länger zurückgehalten hatten. Unzählige Male war er erneuert worden, wenn die Zeit ihn abgenutzt hatte, und stets wurde der alte Ring eingeschmolzen und zum Teil des neuen. Es mochten noch Reste des Rings darin sein, den die Herrscher von Rhamadaschar getragen hatten, das vor Malkier existiert hatte, und von Aramaelle, das noch vor Rhamadaschar gekommen war. Dieses Stück Metall repräsentierte einen dreitausendjährigen Kampf gegen die Große Fäule. Es gehörte ihm schon fast so lange, wie er lebte, aber er hatte es nie getragen. Für gewöhnlich kostete es ihn Überwindung, den Ring auch nur anzusehen. Und doch zwang er sich jeden Tag dazu. Ohne die Leere hätte er es heute nicht geschafft, wie er annahm. Im Ko´di schwebten die Gedanken frei, und Emotionen lagen jenseits des Horizonts.
Man hatte ihm vier Geschenke in die Wiege gelegt. Den Ring in seinen Händen und das Medaillon um seinen Hals, das Schwert an seiner Hüfte und ein in seinem Namen geschworener Eid. Das Medaillon war das wertvollste, doch der Eid wog am schwersten. »Gegen den Schatten anzutreten, solange Eisen hart ist und Stein besteht. Die
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