Der siebte Schrein
ging zu der Nische, wo Sonnenlanze stand, und machte sich am Sattel seines Rotschimmels zu schaffen, als hätte er plötzlich vergessen, warum er hier war. »Alles hat seinen Preis«, sagte er, ohne aufzuschauen. »Aber es gibt Preise und Preise. Die Lady Edeyn . . .« Er warf Lan einen Blick zu, dann drehte er sich zu ihm um. »Sie war schon immer jemand, der jedes Recht forderte und verlangte, daß die kleinste Verpflichtung erfüllt wurde. Das Brauchtum legt dir Bande an, und was immer du entscheidest, sie wird sie wie einen Zügel benützen, wenn dir kein Mittel einfällt, es zu verhindern.«
Lan steckte sorgsam die Daumen in den Schwertgürtel. Bukama hatte ihn, auf seinem Rücken festgeschnallt, aus Malkier fortgebracht. Der letzte der fünf. Bukama hatte das Recht, offen seine Meinung zu sagen, auch wenn es um Lans Carneira ging. »Was schlägst du vor, wie soll ich meiner Verpflichtung ohne Schande entgehen?« fragte er, schroffer als beabsichtigt. Nach einem tiefen Atemzug fuhr er in versöhnlicherem Tonfall fort: »Komm; im Schankraum riecht es viel besser als hier. Ryne hat vorgeschlagen, heute nacht durch die Tavernen zu ziehen. Es sei denn, Frau Arovni erhebt Ansprüche auf dich. Ach, ja. Wieviel werden unsere Zimmer kosten? Gute Zimmer? Nicht zu teuer, hoffe ich.«
Bukama holte ihn auf dem Weg zum Tor ein; sein Gesicht lief rot an. »Nicht zu teuer«, sagte er hastig. »Du hast eine Kammer auf dem Dachboden, und ich . . . äh . . . ich bin in Racelles Zimmer. Ich würde gern mit die Runde machen, aber ich glaube, Racelle . . . ich denke nicht, daß sie mich . . . ich . . . Junger Bengel!« knurrte er. »Da drinnen ist ein Mädchen namens Lira, die jeden wissen läßt, daß du diese Kammer heute nacht nicht brauchen wirst, und daß du nicht viel Schlaf bekommst, also glaub nicht, du kannst . . .!« Er verstummte, als sie ins Sonnenlicht traten, das nach dem Halbdunkel um so greller wirkte. Die Graulerche sang immer noch vom Frühling.
Sechs Männer kamen über den sonst menschenleeren Hof. Sechs gewöhnliche Männer mit Schwertern an den Gürteln, wie beliebige Männer auf beliebigen Straßen der Stadt. Aber Lan wußte Bescheid, bevor sie die Hände bewegten, bevor sie die Blicke auf ihn richteten und ihre Schritte schneller wurden. Er war zu vielen Männern gegenübergestanden, die ihn töten wollten, um nicht Bescheid zu wissen. Und neben ihm stand Bukama, durch einen Eid gebunden, demzufolge er keine Hand erheben durfte, selbst wenn er seine Klinge dabeigehabt hätte. Wenn sie beide versuchten, in den Stall zurückzuweichen, würden die Männer bei ihnen sein, bevor sie das Tor schließen konnten. Die Zeit wurde langsamer und floß wie kühler Honig dahin.
»Hinein und das Tor verrammelt!« sagte Lan scharf, während er nach dem Schwert griff. »Gehorche mir, Waffenträger!«
Noch nie in seinem Leben hatte er Bukama auf diese Weise einen Befehl erteilt, und der Mann zögerte einen Augenblick, dann verbeugte er sich förmlich. »Mein Leben gehört dir, Dai Shan«, sagte er mit belegter Stimme. »Ich gehorche.«
Als Lan nach vorne trat, um sich seinen Angreifern zu stellen, hörte er hinter sich den Balken mit einem gedämpften Poltern fallen. Die Erleichterung war weit entfernt. Er schwebte im Ko´di, eins mit dem Schwert, das weich aus der Scheide glitt. Eins mit den Männern, die auf ihn zugestürmt kamen, deren Stiefel auf dem festgestampften Boden polterten, während sie Stahl entblößten.
Ein schlanker Reiher von einem Burschen schoß den anderen voraus, und Lan tanzte die Figuren. Zeit wie kühler Honig. Die Graulerche sang, und der schlanke Reiher kreischte, als Schnitt durch die Wolken ihm die rechte Hand am Gelenk abtrennte; Lan schwebte auf eine Seite, damit die anderen ihn nicht gleichzeitig angreifen konnten, und schwebte von Figur zu Figur. Sanfter Regen bei Sonnenuntergang legte das Gesicht eines dicken Mannes bloß und nahm ihm das linke Auge, und ein junger Span mit ingwerfarbenem Haar fügte Lan mit Schwarze Kiesel auf Schnee einen Schnitt quer über die Rippen zu. Nur in Märchen konnte ein Mann sechsen entgegentreten, ohne Verletzungen davonzutragen. Die Erblühende Rose spaltete einem kahlen Mann den linken Arm, und Ingwerhaar fügte Lan einen Schnitt am Augenwinkel zu. Nur in Märchen trat ein Mann sechsen entgegen und überlebte. Das hatte er von Anfang an gewußt. Pflicht war ein Berg, Tod eine Feder, und seine Verpflichtung galt Bukama, der einen Säugling auf dem
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