Der siebte Schrein
immer die Wahl, aber manchmal war jede Alternative unerfreulich. »Du mußt Sonnenlanze hierlassen. Ich habe vor, morgen bei Dämmerung aufzubrechen.« Sein Gold würde für ein neues Reittier für den Mann reichen.
»Sechs!« knurrte Ryne, der das Schwert mit beträchtlicher Wucht in die Scheide stieß. »Ich glaube, ich reite mit euch. Ich würde lieber erst nach Shol Abela zurückkehren, wenn ich sicher bin, daß mir Ceiline Noreman nicht die Schuld am Tod ihres Gatten in die Schuhe schiebt. Und es wird schön sein, den Goldenen Kranich wieder fliegen zu sehen.«
Lan nickte. Und seine Hände auf das Banner zu legen und preiszugeben, was er sich vor vielen Jahren geschworen hatte, oder sie aufzuhalten, wenn er konnte. So oder so, er mußte Edeyn gegenübertreten. Die Große Fäule wäre viel einfacher gewesen.
Prophezeiungen nachzujagen, hatte Moiraine am Ende ihres ersten Monats entschieden, hatte wenig mit Abenteuern zu tun, aber dafür viel mit wundgerittener Haut und Frustration. Durch die Drei Eide fühlte sie sich nach wie vor eingeengt. Der Wind ließ die Läden klappern, und sie rutschte auf dem harten Holzstuhl herum und verbarg ihre Ungeduld, indem sie einen Schluck ungesüßten Tee trank. In Kandor waren die Annehmlichkeiten in einem Trauerhaus auf ein Minimum reduziert. Es hätte sie nicht allzu sehr überrascht, Eisblumen auf den Möbeln mit den Blattschnitzereien oder der Metalluhr über dem kalten Kamin zu sehen.
»Es war alles so seltsam, Mylady«, seufzte Frau Najima und drückte zum zehntenmal ihre Töchter an sich. Colar und Eselle, vielleicht dreizehn oder vierzehn, die dicht am Stuhl ihrer Mutter standen, hatten ihr langes schwarzes Haar und ihre großen blauen Augen, die noch voller Trauer waren. Auch die Augen ihrer Mutter wirkten groß in dem nach der Tragödie wie verschrumpelten Gesicht, ihr schlichtes graues Kleid schien für eine größere Frau gemacht zu sein. »Josef war immer vorsichtig mit Laternen im Stall«, fuhr sie fort, »und er duldete nie offenes Feuer. Die Jungs müssen den kleinen Jerid hinausgetragen haben, um ihrem Vater bei der Arbeit zuzusehen, und . . .« Wieder ein tiefes Seufzen. »Sie wurden alle eingeschlossen. Wie konnte der ganze Stall so schnell Feuer fangen? Das ergibt keinen Sinn.«
»Wenig ist jemals sinnlos«, sagte Moiraine beschwichtigend und stellte ihre Tasse auf den kleinen Tisch neben ihrem Ellbogen. Sie hatte Mitleid, aber die Frau fing an, sich zu wiederholen. »Wir können den Grund nicht immer begreifen, uns aber mit dem Wissen trösten, daß es einen gibt. Das Rad der Zeit wirkt uns nach Gutdünken in sein Muster, aber dieses Muster ist das Werk des Lichts.«
Als sie sich selbst hörte, bemühte sie sich, das Gesicht nicht zu verziehen. Solche Worte erforderten eine Würde und ein Gewicht, die ihre Jugend nicht aufbringen konnte. Wenn nur die Zeit schneller vergehen könnte. Wenigstens die nächsten fünf Jahre oder so. In fünf Jahren würde sie ihre uneingeschränkte Kraft besitzen und alle Würde und alles Gewicht aufbringen, die sie je brauchte. Aber die Alterslosigkeit, die das lange Arbeiten mit der Einen Macht mit sich brachte, hätte ihre derzeitige Aufgabe nur erschwert. Als allerletztes wollte sie, daß jemand eine Aes Sedai mit ihren Besuchen in Verbindung brachte.
»Wie Ihr meint, Mylady«, murmelte die andere Frau höflich, aber eine unkontrollierte Bewegung ihrer blassen Augen verriet ihre wahren Gedanken. Diese Ausländerin war ein närrisches Kind. Der kleine blaue Stein einer Kesiera, der an einer feinen Goldkette in Moiraines Stirn hing, und ein dunkelgrünes Kleid mit sechs farbigen Streifen über der Brust, weit weniger als ihr zugestanden hätten, bewogen Frau Najima zu der Annahme, sie sei lediglich eine Adlige aus Cairhien, eine von vielen, die auf Wanderschaft waren, seit die Aiel Cairhien zerstört hatten. Eine Adlige aus einem unbedeutenden Haus, die Alys hieß, nicht Moiraine, und für ihren König, der von den Aiel getötet worden war, Beileidsbesuche machte. Die Täuschung ließ sich mühelos aufrechterhalten, auch wenn sie nicht im geringsten um ihren Onkel trauerte.
Möglicherweise spürte sie, daß ihre Gedanken zu offensichtlich gewesen waren, denn Frau Najima fuhr rasch fort: »Es ist nur so, daß Josef immer solches Glück hatte, Mylady. Alle haben das gesagt. Sie haben gesagt, wenn Josef Najima in ein Loch fallen würde, würde er unten Opale finden. Als er dem Ruf der Lady Kareil folgte, gegen die
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