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Der siebte Schrein

Der siebte Schrein

Titel: Der siebte Schrein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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Orientierung und keine Gewißheit, daß die Frau einen Jungen zur Welt gebracht hatte. Zu viele wie: »Kari al´Thor. Aus Andor? Ehemann Tamlin, Zweiter Kapitän der Illianer Gefährten, abgemustert.« Dieses Paar hätte überall auf der Welt hingehen können, und es war fraglich, ob sie überhaupt ein Kind bekommen hatte. Manchmal war nur der Name der Mutter aufgelistet, dazu sechs bis acht Variationen des Namens eines Heimatdorfs, das in einem von zwei oder drei Ländern liegen konnte. Die Liste all derer, die leicht zu finden waren, wurde rasch kürzer.
    Aber das Kind mußte gefunden werden. Ein Säugling, der zum Mann heranwachsen und die besudelte männliche Hälfte der Einen Macht beherrschen konnte. Moiraine erschauerte unwillkürlich bei dem Gedanken. Deshalb war diese Suche so geheim, deshalb hatte man Moiraine und Siuan, die immer noch nur Aufgenommene waren, als sie durch Zufall von der Geburt des Kindes erfuhren, beiseite genommen und ihnen sowenig Informationen wie irgend möglich zukommen lassen. Dies war eine Angelegenheit für erfahrene Schwestern. Aber wem konnte Tamra die Tatsache anvertrauen, daß die Geburt des Wiedergeborenen Drachen vorhergesagt worden war, mehr noch, daß er irgendwo bereits an der Mutterbrust gesäugt wurde? Hatte sie auch Alpträume von der Art gehabt, die Moiraine und Siuan in so vielen Nächten geweckt hatten? Doch dieses Knäblein würde heranwachsen und die Welt retten, behauptete die Prophezeiung des Drachen. Wenn er nicht von einer Roten Schwester aufgespürt wurde; das vordringliche Ziel der Roten Ajah bestand darin, Männer zu jagen, die kanalisieren konnten, und Moiraine war sicher, daß Tamra keiner von ihnen vertraut hatte, nicht einmal, wo es um ein Kind ging. Konnte man sich darauf verlassen, daß eine Rote sich daran erinnerte, daß er die Rettung der Menschheit sein würde, aber auch daran, was er sonst noch sein würde? Weil Moiraine sich daran erinnerte, wirkte der Tag plötzlich kälter für sie.
    Das Gasthaus, wo sie ein kleines Zimmer hatte, hieß Himmelspforte, vier geräumige Stockwerke, aus Stein gebaut, mit einem grünen Dach, das größte und beste in Canluum. Die umliegenden Geschäfte belieferten die Lords und Ladys auf dem Hirschberg, der hinter dem Gasthaus aufragte. Sie wäre dort nicht abgestiegen, hätte sie ein anderes Zimmer in der Stadt finden können. Nach einem tiefen Atemzug betrat sie es schnell. Weder die plötzliche Wärme von vier großen Kaminen noch die verlockenden Kochgerüche aus der Küche lockerten ihre verkrampften Schultern.
    Der Schankraum war groß und jeder Tisch unter den hellroten Deckenbalken besetzt. Überwiegend von schlicht gekleideten Kaufleuten, dazwischen vereinzelt wohlhabende Handwerker mit kostbaren Stickereien auf den bunten Hemden oder Kleidern. Sie bemerkte sie kaum. Nicht weniger als fünf Schwestern wohnten im Himmelspforte, und alle saßen im Schankraum, als sie eintrat. Meister Helvin, der Wirt, schaffte stets Platz für eine Aes Sedai, auch wenn er andere Gäste zwingen mußte, zusammenzurücken. Die Schwestern blieben jede für sich, nahmen voneinander kaum Notiz, und die Leute, die eine Aes Sedai früher nicht erkannt hätten, kannten sie jetzt und besaßen Verstand genug, sie nicht zu stören. An allen anderen Tischen herrschte dichtes Gedränge, aber wenn ein Mann bei einer Aes Sedai saß, dann war er ihr Behüter, ein Mann mit scharfem Blick und einem gefährlichen Aussehen, wie unscheinbar er auch sonst wirken mochte. Eine der Schwestern, die für sich saßen, war eine Rote; Rote suchten sich keine Behüter.
    Moiraine steckte die Handschuhe in den Gürtel, legte den Mantel über den Arm und ging zur Steintreppe im hinteren Teil des Raums. Nicht zu rasch, aber auch nicht trödelnd. Blick starr geradeaus. Sie mußte kein Gesicht unbestimmbaren Alters sehen oder eine goldene Schlange an einem Finger, die sich selbst in den Schwanz biß, um zu merken, wenn sie an einer anderen Schwester vorbeikam. Jedesmal spürte sie die Gabe der anderen Frau, zu kanalisieren, spürte ihre Kraft. Niemand hier konnte es mit ihr aufnehmen. Sie konnte deren Fähigkeiten spüren, und die anderen ihre. Die Blicke, die ihr folgten, schienen wie eine Berührung von Fingern zu sein. Nicht umklammernd. Niemand sprach sie an.
    Als sie gerade die Treppe erreicht hatte, meldete sich unmittelbar hinter ihr eine Frau zu Wort. »Schau an - was für eine Überraschung!«
    Moiraine drehte sich rasch um, wahrte eine ausdruckslose

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