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Der siebte Schrein

Der siebte Schrein

Titel: Der siebte Schrein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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zwar unter dem Vorwand, allen Frauen Unterstützung anzubieten, die in den Tagen ein Kind zur Welt brachten, da die Aiel Tar Valon selbst bedrohten. Von allen Frauen, die an diesem Unternehmen beteiligt waren, kannten nur sie beide den wahren Grund. Sie hatten diese Namen für Tamra aussortiert. Nur Kinder, die außerhalb der Stadtmauern geboren worden waren, waren wirklich wichtig, aber die versprochene Hilfe ging natürlich an jede Frau, die gefunden wurde. Nur Jungen, die am Westufer des Flusses Erinin geboren worden waren, Jungen, die an den Hängen des Drachenbergs geboren worden sein konnten.
    Hinter ihr schrie eine Frau schrill und wütend, und Moiraine machte einen Sprung, bevor ihr klar wurde, daß es sich um eine Wagenlenkerin handelte, die ihre Peitsche nach einem Straßenhändler schwang, damit er seine Schubkarre mit dampfenden Fleischpasteten aus dem Weg schob. Licht! Mit einer Farm konnte sie mindestens rechnen! Ein paar Männer im Umkreis von Moiraine lachten rüpelhaft über ihren Sprung, und ein Tairen mit dunklem Gesicht in einem gestreiften Mantel machte einen rüden Witz über den kalten Wind, der unter ihren Rock wehte. Das Gelächter schwoll an.
    Moiraine stakste steifbeinig und mit puterrotem Gesicht weiter und umklammerte mit der Hand fest den silbernen Griff ihres Messers im Gürtel. Ohne zu überlegen, umarmte sie die Wahre Quelle, und die Eine Macht durchströmte sie mit fröhlicher Lebenskraft. Mehr als einen Blick über die Schulter brauchte sie nicht; mit Saidar in ihr wurden Gerüche ausgeprägter, Farben leuchtender. Sie hätte die Fäden des Mantels zählen können, den der Tairen beim Lachen flattern ließ. Sie kanalisierte feine Ströme der Macht, der Luft, und die ausgebeulte Hose des Mannes fiel auf seine Schuhe herab, deren Schnürsenkel offen waren. Brüllend raffte er unter neuerlichen Heiterkeitsausbrüchen den Mantel um sich. Sollte er sehen, wie ihm der kalte Wind und herbe Witze gefielen!
    Ihre Befriedigung dauerte so lange, wie sie brauchte, von der Quelle abzulassen. Impulsivität und ein kurzer Geduldsfaden waren von jeher ihre Schwächen gewesen. Jede Frau, die kanalisieren konnte, hätte sie aus der Nähe weben sehen können, hätte das Leuchten von Saidar um sie herum erkennen können. Selbst die schwächste Schwester in der Burg hätte diese feinen Ströme auf dreißig Schritte Entfernung spüren können. Eine schöne Art, sich zu verstecken.
    Sie legte einen Schritt zu, um eine gewisse Distanz zwischen sich und dem Vorfall herzustellen. Zuwenig und zu spät, aber mehr konnte sie jetzt nicht tun. Sie streichelte das kleine Buch in ihrer Gürteltasche und versuchte sich auf ihre Aufgabe zu konzentrieren. Mit nur einer Hand erwies es sich als unmöglich, den Mantel zusammenzuhalten. Er flatterte im Wind, und nach einem Augenblick ließ sie sich die beißende Kälte spüren. Schwestern, die bei jeder Gelegenheit Buße taten, waren närrisch, und doch konnte eine Buße vielen Zwecken dienen, und vielleicht brauchte sie eine Mahnung. Wenn sie nicht daran dachte, vorsichtig zu sein, konnte sie auch jetzt gleich in die Weiße Burg zurückkehren und fragen, wo sie anfangen sollte, Rüben zu hacken.
    Im Geiste strich sie den Namen Jurine Najima durch. Im Buch waren andere Namen tatsächlich schon dick durchgestrichen. Die Mutter von fünf Knaben, die am falschen Ort geboren worden waren. Die Mütter von drei Mädchen. Eine Armee von fast zweihunderttausend Mann hatte sich zusammengezogen, um den Aiel vor den Leuchtenden Mauern entgegenzutreten, und immer noch setzte es Moiraine in Erstaunen, wie viele Frauen ihnen gefolgt waren, wie viele davon Kinder unter dem Herzen trugen. Eine ältere Schwester mußte es ihr erklären. Es war kein kurzer Krieg gewesen, und Männer, die wußten, daß sie morgen sterben konnten, wollten einen Teil von sich zurücklassen. Frauen, die wußten, daß ihre Männer morgen sterben konnten, wollten diesen Teil für sich behalten.
    Hunderte hatten in den entscheidenden zehn Tagen Kinder zur Welt gebracht, und in dieser Menschenmenge, wo Soldaten aus fast jedem Land anwesend waren, existierten nur Gerüchte, wann genau und wo ein Kind das Licht der Welt erblickt hatte. Oder wohin die Eltern gegangen waren, nachdem der Krieg zu Ende war und die Koalitionsarmee sich ebenso wie die Koalition auflöste. Es gab zu viele Eintragungen wie: »Saera Deosin. Ehemann Eadwin. Aus Murandy. Ein Sohn?« Ein ganzes Land zu durchsuchen, nur zwei Namen als

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