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Der siebte Schwan - Mer, L: Der siebte Schwan

Der siebte Schwan - Mer, L: Der siebte Schwan

Titel: Der siebte Schwan - Mer, L: Der siebte Schwan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lilach Mer
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Augen.
    Einen langen Moment glaubte sie, versagt zu haben. Es sah aus, als wäre der Fluss über die Ufer getreten durch das, was auch immer sie falsch gemacht hatte; so breit schimmerte der Mond jetzt auf ihm. Aber er lag starr da, wie auf einer Photographie, und nach dem zweiten, dritten Blinzeln
verstand Mina, dass die Straße fast doppelt so breit war wie der Fluss, und dass es Pflastersteine waren, die so reglos im tanzenden Licht verharrten.
    Sie wusste nicht, ob sie erleichtert sein sollte, stolz vielleicht sogar. Es fühlte sich nicht danach an. Als sie sich umsah, fiel ihr Blick auf das schlafende Land; keine Zweige, in denen er sich verfangen konnte, keine Blätter, die ihn trugen. Nur Felder, die wisperten, als ob sie Geheimnisse hätten und sich doch nicht mehr erzählten als vom Wind und vom Regen und vom gefräßigen Käfer.
    Das Haus war noch da, so schäbig und verfallen wie zuvor. Ein schwacher Hauch von Nebel hielt sich noch an seinen Kanten fest, während die Luft überall sonst klar und kalt geworden war. Wie seltsam, es an seinem Platz zu sehen; als wäre es richtiger gewesen, wenn es mit dem Alten Wald im Nichts verschwunden wäre. War er noch darin, der kleine, alte, runzlige Pug, beobachtete er sie noch aus den zerbrochenen Fenstern? Sie wusste es nicht. Aber irgendwo in einem stillen Winkel fühlte es sich so an, als könnte er es sein.
    Der Gedanke erleichterte sie auf eine Art, die sie nicht verstand.
    »Ach«, sagte Pipa maulend, wie Mina sie so oft gehört hatte, und auch das beruhigte sie irgendwie, »ich wäre lieber im Wald geblieben.«
    Rosa schubste sie sanft.
    »Jetzt bist du aber auf der Straße, Pipadscha. Und was macht es schon für einen Unterschied, außer dass uns morgen schön warm werden wird, wenn die Sonne herauskommt? Auf der Wanderschaft sind wir immer, so oder so. Wie es sich gehört.«

    Sie klang fast wie Mamsell, und Mina spürte das Ziehen in ihren Mundwinkeln.
    Rosa nahm sie beide bei der Hand.
    »Also«, sagte sie entschieden, »dann gehen wir.«
    Und das taten sie.
     
    Vielleicht, dachte Mina irgendwo auf dem Weg, vielleicht sind die Menschen wirklich dazu bestimmt, zu laufen, zu wandern, von einem Ort zum nächsten. Vielleicht sind sie wie Rehe oder wie Zugvögel, und ihr Herz ist gar nicht gemacht dazu, an einem Platz ihr Leben lang zu bleiben. Es fühlt sich so an, in den Beinen, wenn man läuft, als ob sie nichts lieber täten. Selbst wenn die Straße viel härter ist als das weiche Moos, selbst wenn nackte Sohlen schneller brennen als solche in guten Stiefeln. Nach jedem Blinzeln ein neuer Blick. Hinter jeder Biegung ein neuer Duft. Und bei jedem Schritt wächst die Sehnsucht nach dem nächsten. Auch wenn es so ungewiss ist wie jetzt, was am Ende des Weges stehen wird.
    Es tat ihr leid, den Mond nach und nach verblassen zu sehen, und sie verstand die Worte der Nixe noch weniger als zuvor. Der Mond hatte sie begleitet. Der Mond hatte ihr den Weg gewiesen und sie am Ende wieder empfangen, als sie aus den Schatten zurückgekehrt war. Nichts an ihm bedeutete Gefahr. Sein Licht hatte sie behütet wie Liljas kleine Lampe.
    Die klaren Linien, die es der Landschaft schenkte, silbern, weiß und schwarz, verwischten mit den Stunden mehr und mehr; was blieb, war Grau, reizlos, unentschlossen. Die stumpfe, triste Farbe machte es nicht leichter, sich vorzustellen, wohin die Straße vom Pug-Haus sie führen würde.

    Rosa und Pipa rätselten gemeinsam darüber. Mina hörte sie hinter sich, das halblaute, vertraute Plaudern zwischen Schwestern; und so froh sie war, die beiden bei sich zu wissen, gab es ihr doch kleine, nadelfeine Stiche in die Brust, wenn sie zu sehr darauf achtete. Sie hatte nicht versucht, ihnen zu sagen, was im Pug-Haus geschehen war. War den fragenden Blicken, die sie ab und an streiften, mit einem Nicken begegnet, was fast so gut wie ein beruhigendes Lächeln war; hatte erleichtert gespürt, wie die forschende Unruhe langsam nachließ. Besser war es, wenn sie sich vorstellten, sie wäre dieses Mal ungeschoren davongekommen. Besser, als hilflos vor dem Mitleid zu stehen und nicht erklären zu können, wie eingesperrt sie sich in sich selbst fühlte, wenn sie die beiden miteinander reden und lachen hörte.
    Sie trug das Bündel jetzt vor der Brust, auch wenn es merkwürdig aussehen musste. So konnte sie durch den weichen Stoff nach der Spieluhr tasten, dem Medaillon, das still und wissend zwischen ihren Habseligkeiten ruhte. Jedes Mal, wenn sie meinte,

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