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Der siebte Schwan - Mer, L: Der siebte Schwan

Der siebte Schwan - Mer, L: Der siebte Schwan

Titel: Der siebte Schwan - Mer, L: Der siebte Schwan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lilach Mer
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Stille.
    Aber sie mussten hier sein, die Menschen. Denn was es auch nicht gab, war Staub. Alles, was Mina berührte, war so glatt und sauber, als wäre ein besonders gründliches Mädchen gerade eben noch mit dem Tuch darübergegangen.
    Sie wusste nicht, was sie sonst tun sollte, und so stieg sie weiter nach oben, diese Treppe und die folgende. Erst im dritten Stock, als ihr schon die Knie zitterten über den hohen, steilen Stufen, mischte sich das gelbe Lampenlicht mit einem trüberen Schein. Eine der Türen, der Treppe gerade gegenüber, war nicht ganz geschlossen. Und aus dem schmalen Spalt drang Licht, das von draußen kommen musste.
    In ihren Gedanken machte Mina sich so leicht wie eine Feder. Sie zog den Bauch ein, spannte jeden Muskel an, reckte sich auf den Zehenspitzen, als sie über den Dielenboden schlich. Er knarrte nicht.
    Auch die Tür schwieg kumpanenhaft unter ihren tastenden Fingern. Langsam drückte sie sie weiter auf, Fingerknöchelbreite um Fingerknöchelbreite.
    Ein Raum lag dahinter, langgestreckt, gerade zu dem helleren Rechteck in der Wand hin, aus dem das trübe Licht
wie Spülwasser tropfte. Ein Fenster. Endlich ein Fenster. Mina schob sich in den Türspalt, und erst als etwas mehrfach heftig an ihrer Aufmerksamkeit zupfte, hielt sie inne.
    Dieser Raum war nicht still. Oder doch, er war es; an der Oberfläche. Darunter …
    Einen Moment glaubte Mina, es müsste ihr eigener Atem sein, den sie hörte.
    Aber er war es nicht allein.
    Im Türspalt steckend, strengte Mina die Augen an, versuchte, vom hellen Fleck des Fensters weg in die Dunkelheit rechts und links zu sehen. Verschwommene Schemen, sonderbar regelmäßig ausgerichtet. Länglich, eckig. Gar nicht so sehr dunkel, wenn die Augen sich daran gewöhnt hatten. Eher … weiß, ja. Im Tageslicht mussten sie wohl weiß sein. Längliche weiße Formen, eine neben der anderen.
    Jemand seufzte, etwas knarrte, und diese beiden Geräusche zusammen ergaben etwas, das Mina blitzartig erkannte: ein Schlafender, der sich im Traum auf die andere Seite dreht. Nein, nicht ein Schlafender. Dutzende davon. In kleinen, ordentlichen, weißen Betten.
    Es musste Rosas Erzählung sein, die sie so zurückzucken ließ, dass sie mit dem Ellenbogen gegen die Tür stieß. Hinterhältig schien diese nur auf diesen Moment gewartet zu haben. Es quietschte in ihren Angeln, und die Dielen, auf die Mina rückwärts, voller Schrecken und viel zu heftig trat, raunzten boshaft. Einen Wimpernschlag später klickten Absätze auf Holz.
    Es gab keine Überlegung, keinen einzigen klaren Gedanken. Furcht riss Mina an kalten Krallenhänden aus dem Türrahmen, über die Breite des Flurs; die Dielen verhöhnten sie lautstark. Furcht zerrte sie die nächste Treppe hinauf,
weiter, immer noch weiter, bis hinter die Biegung, wo ihr Schatten sich zwischen anderen Schatten verkroch und sie sich mit fliegenden Gliedern an das Treppengeländer drückte.
    Komm nicht hoch. Die flehentlichen Worte pochten in ihr. Komm nicht hoch, komm bitte, bitte nicht hoch …
    Klicken. Rascheln. Schwerer Stoff, der sich bewegte. Ein langer Schatten, der plötzlich auf dem Flurboden auftauchte, nur ein paar Meter unter Minas armseligem Versteck. Er schrumpfte zusammen, wurde kürzer, aber kaum breiter.
    Eine Frau erschien auf dem Flur, in einem weiten, grauen Kleid, und etwas in Mina schrie erschreckt auf, als sie die weiße Schürze sah, die von der Taille bis auf den Boden hing. Eine gestärkte Schürze …
    Aber das Gesicht, was Mina gelblich im Lampenlicht von der Seite sah, hatte nichts Gütiges an sich. Die Nase war scharf, gebogen wie eine Stopfnadel, das Kinn lang und spitz. Die Lippen waren so dünn, dass es beinahe so schien, als habe dieses Gesicht überhaupt keinen Mund. Mina kauerte sich zusammen.
    Die Frau blieb vor der halboffenen Tür stehen. Sie machte keine Anstalten, über die Schwelle zu treten; stand nur da, drehte Mina den Hinterkopf zu, den eisengrauen Dutt, der wie ein Stein auf ihrem Scheitel saß. Dann raschelte wieder Stoff, eine schnelle, pfeilgerade Bewegung, und die Frau zog die Tür mit einem Ruck ins Schloss, der durch das schlafende Haus bis in Minas Innerstes hallte.
    Einen Moment stand die Frau noch da, wieder regungslos wie zuvor. Lauschte sie auf die schwachen Laute, die von drinnen kamen? Sie verstummten so rasch wieder, dass Mina nicht sicher war, ob sie sie sich nur eingebildet hatte.
Ein wenig hatte es wie ein erschrecktes Weinen geklungen. Für einen Augenblick

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