Der siebte Schwan - Mer, L: Der siebte Schwan
Holzkästchen zu sehen war. Als Mina sie in die Hand nahm, sehnte sie sich einen Moment danach, die beiden strahlenden Figuren ans Licht zu holen; zuzusehen, wie sie tanzten in der schwachen Morgensonne, sicherzugehen, dass sie wirklich da waren, nicht nur ein wirrer Traum aus Funkeln und Staub. Die Tater sahen sie an, während sie mit den verbundenen Händen ungeschickt über die grüne Hülle strich.
»Sie sind sehr schön«, sagte Nad. »Sie sollen nicht zerbrechen auf deinem Ritt.«
Mina nickte langsam. Als sie die Spieluhr vorsichtig zu den anderen Sachen in das Bündel schob, fühlte sie die Formen des Kristalls durch die feinen Blätter hindurch.
Lilja kam zu ihr, buntes Tuch über dem Arm.
»Zinni liebt deinen hübschen blauen Mantel«, sagte sie, »und ich weiß, du wärst nur gekränkt, wenn wir versuchen
würden, ihn dir jetzt zurückzugeben. Aber dein Kleid, Mina. Willst du es nicht wieder anziehen?«
Sie breitete es in der Luft aus, und sachter Wind fing sich in den Falten. Nachdenklich sah Mina es an. Es waren nur noch wenige, einzelne Streifen vom schweren Taft zu sehen, und nichts mehr von der steifen Borte. Der Rock wirkte wie in einem bunten, verschlungenen Muster gewebt, so viele glänzende Flicken waren inzwischen darauf genäht. Es schimmerte und leuchtete in allen Farben.
Nein, das war nicht mehr das Kleid für eine verpasste Konfirmation, von einer kleinen, verhuschten Schneiderin in einem dämmrigen Damenzimmer genäht. Der seltsame Traum fiel ihr ein, den sie in der ersten Nacht im Taterlock gehabt hatte. Die Dutzenden Hemdchen, die sie hatte stricken müssen, mit heißen, klebrigen Händen. Nun, es schien, als hätte sie zwar nicht Dutzende geschaffen; aber eines, eines doch.
Es war ihr Kleid. Ihres allein.
Schweigend nickte sie.
Lilja hielt ihr das Kleid hin und stützte sie, damit sie es sich anziehen konnte.
Nad hob sie auf den flammroten Pferderücken; und mit Liljas fransigem Umschlagtuch, das er um ihre Hüfte schlang und um den breiten Pferdehals, band er sie sorgfältig fest.
»Nun dann«, sagte Tausendschön und schaute aus dem Gras zu ihr auf, »ich nehme an, wir sehen uns bald wieder, Fräulein Mina. Sie wissen ja, eine Katze wird man nicht mehr los, wenn man sie einmal an den Milchtopf gelassen hat. Geben Sie auf sich acht. Bis dahin, meine liebe Freundin.«
Er gab ihr keine Gelegenheit zu antworten, drehte sich um und verschwand zwischen den Taterbeinen, ehe sie auch nur den Mund öffnen konnte.
Lilja nahm die Hand von Minas Rücken. »So ist es recht«, sagte sie, »der Kater hat wieder einmal das Richtige getan. Lasst uns nicht stehen und traurig werden, wenn wir uns doch bald alle wiedersehen. Wir sind Tater, meine Lieben. Wir kennen den Abschied.«
Sie trat zurück, und mit der flachen Hand schlug sie plötzlich auf den runden, glänzenden Pferdehintern, dass es klatschte.
»He«, rief sie und lachte laut mit ihrem schönen, weiten Mund, »he, lauf, mein Pferdchen, lauf zum Taterlock! Lebwohl, Mina! Lebwohl!«
Das rote Pferd machte einen Satz nach vorn, und Mina wurde in das Umschlagtuch gepresst. Das Bündel hüpfte ihr auf dem Rücken. Ein Tropfen Salzwasser brannte in ihrem Augenwinkel, flog mit dem Wind davon, als sie versuchte, sich noch einmal nach den Tatern umzudrehen. Aber das Pferd warf den Kopf zurück und wieherte, seine Mähne flog ihr gegen die Brust. Und in wilden, unbekümmerten Sprüngen trug es sie über die Wiesen davon.
Am Ende, unter den schlanken Erlen des Wäldchens, löste sich Nads Knoten von allein aus dem Tuch, und als das Pferd neben einem niedrigen Gebüsch zum Stehen kam und sich anschickte, die Blätter abzuzupfen, ließ Mina sich einfach von seinem Rücken rutschen, mitten zwischen die Zweige. Sie fingen sie sanft und ohne einen Kratzer auf.
Wie still es hier war. Wie das Sonnenlicht auf den hellgrünen Blattspitzen strahlte. So friedlich. So weich. So ohne jede Ahnung von Gefahr, von Angst, von Einsamkeit. Sie hätte sich ins Gras sinken lassen mögen und schlafen, nur schlafen. Aber hinter den Bäumen hörte sie das Plätschern des Baches.
Sie rappelte sich auf, so gut es ging. Das rote Pferd schnaubte, als sie zwischen den Bäumen verschwand, im Schatten, in der Kühle. Das Plätschern des Wassers leitete sie, und als sie am Ufer stand, kam es ihr so vor, als wäre sie kaum mehr als fünf Schritte dorthin gegangen. Gegenüber lag der Waschplatz der Tater, wo sie Lilja, Rosa und Pipa zum ersten Mal gesehen hatte. Und wo
Weitere Kostenlose Bücher