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Der siebte Schwan - Mer, L: Der siebte Schwan

Der siebte Schwan - Mer, L: Der siebte Schwan

Titel: Der siebte Schwan - Mer, L: Der siebte Schwan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lilach Mer
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Weiter schleppte sie sich, immer weiter, den stolpernden, schwankenden Peter an ihrer Seite. Die Schwäne verließen sie nicht.
    Es war ein endloser Gang.
     
    Nicht das Glitzern der schwarzen Taterkuhle war es, was Mina irgendwann dazu brachte, den Blick mühsam vom Boden zu heben. Dicht vor dem Wasser stand die Spieluhr, dort, wo sie sie zurückgelassen hatte, umflossen von staubfeinem Nebel. Lag es am Gegensatz zu seiner matten Farbe, dass das Kristall auf ihrem Deckel so zu leuchten schien? Die letzten Schritte schaffte Mina nicht mehr auf den Füßen, sie ging in die Knie, umfächert von Schwanenfedern. Kroch mühsam, ohne die Hände zu benutzen, auf die Spieluhr zu. Das Glitzern wurde so hell, dass sie blinzeln musste.
    Da waren keine Reste mehr, festgeleimt auf dem Holz; keine kläglichen Splitter, zerbrochenen Scherben. Zwei verschlungene Figuren erhoben sich auf der Spieluhr, strahlend, aus reinstem, klarstem Kristall. Ein großer Vogel mit ausgebreiteten Flügeln und einem langen, geschwungenen Hals; eine Frau mit fliegenden Haaren, die sich drehte unter einem der Flügel, auf den Vogel zu, als tanzten sie zusammen. Den Saum ihres Kleides hielt sie mit einer Hand weit von sich, so dass es sich bauschte und sie umwirbelte. Und unter dem Saum ein zarter Frauenfuß in einem gläsernen Ballschuh.
    Peter gab zwischen den Schwänen einen kleinen, fragenden Laut von sich. Als Mina langsam, verzaubert noch, den Kopf zu ihm drehte, sah sie zum ersten Mal einen Hauch von Leben in den Augen, mit denen er zur Spieluhr sah.

    Sie konnte sie nur mit der rechten Hand halten, und auch das nur, weil es ihr irgendwie gelang, sie zwischen die Kordelschlaufen zu schieben, die von dem blutdurchtränkten Tuch an ihrem Arm herabhingen. Ihre Glieder fingen sofort an zu zittern, als sie sich mit der Hilfe der Schwäne in das eisige Wasser hinunterließ. Neben ihr schoben und zogen die Vögel sanft den Jungen hinein, nahmen ihn in ihre Mitte. Er maunzte verwirrt, wie ein kleines Tier.
    Sie versuchte Wasser zu treten, aber ihre Beine bewegten sich nur langsam und schwerfällig. Ein weißer Körper glitt sacht und völlig lautlos an ihre rechte Seite; ein zweiter an ihre linke. Es gelang ihr gerade noch, bevor die Kraft sie völlig verließ, ihre Arme über die Leiber zu legen.
    Ohne die Vögel wären sie beide verloren gewesen. Wie auf dem Hinweg, so nahm auch jetzt die Strömung irgendwann zu, in dem Maß, in dem das Glitzern der Wände schwächer wurde. Nur trieb sie diesmal in die umgekehrte Richtung. Das Wasser stemmte sich immer heftiger gegen Minas Körper. Es sprudelte unter den gefalteten Flügeln der Schwäne, schlug ihr Tropfen ins Gesicht. Bald hing sie beinahe waagerecht im Wasser, so heftig warf sich ihr die Strömung entgegen. Sie musste die Muskeln in ihren Armen anspannen, so grässlich es auch schmerzte und brannte, damit die leichteren Schwäne nicht unter ihr davongerissen wurden. Sie konnte fühlen, wie das Blut von ihren Fingern über den weißen Schwanenflügel lief, und hinter ihrer Stirn sah sie die roten Tropfen von dort in das schwarze Wasser fallen.
    Im nächsten Moment türmte die Strömung Wellen gegen sie auf, sie überspülten die Schwäne bis über den Rumpf und tauchten Minas beide Arme ganz in eisig kaltes Wasser.
Es biss, es brannte in jeder der unzähligen Wunden, und sie öffnete den Mund und schrie:
    »Ah, ah!«
    Es war ein spröder, brüchiger Ton. Die Felswände warfen ihn zurück, wieder und wieder. Die Schwäne raschelten verwundert mit den Federn.
    Mina bewegte die Lippen, öffnete und schloss den Mund. Versuchte es, zaghaft, ein zweites Mal:
    »Ah …«
    Mit einem Mal ließ die Strömung nach, sie glitten in ruhigeres Wasser.
    »Ah«, murmelte Mina noch einmal. Und wurde ohnmächtig.
     
    Der Wind war es, der sie in die Welt zurückflüsterte. Der Wind, der über ihre Stirn strich. Ihr die Haare verwehte, in ihren Wimpern flirrte. So sacht und so nachdrücklich, dass sie schließlich die Augen öffnete.
    Die Sterne sahen auf sie herunter, blass schon vor dem heraufziehenden Morgen. Etwas Warmes, Weiches hüllte sie ein; sie neigte den Kopf vorsichtig, entdeckte den Saum einer Decke in so vielen verschiedenen Farben, dass sie selbst im zarten Morgengrau bunt aussah. Mina fror nicht mehr. Sie spürte keine Schmerzen. Hinter ihrer Stirn schien alles mit Watte gefüllt.
    Neben ihr war noch mehr Wärme, und aus dem Augenwinkel sah sie Peters blasses Gesicht. Er schlief, sein Atem bewegte die

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