Der siebte Schwan - Mer, L: Der siebte Schwan
leise, »komm her.«
Das Gras raschelte, als Pipa gehorchte. Sie kicherte nicht mehr.
Wieder bellte der Hund, und es klang lauter. Mina kniff die Augen zusammen und spähte über die Lichtung. Etwas bewegte sich zwischen den Erlenstämmen. Ein kleiner
Schatten löste sich aus dem Halbdunkel und kam über die Wiese auf sie zu, sehr schnell und pfeilgerade.
Es war der Kater.
»Sie haben sie gehörig aufgescheucht, Fräulein Mina«, sagte Tausendschön kurzatmig, als er bei ihnen anlangte. Er ließ sich ins Gras fallen und schlug mit dem Schwanz, der aufgeplustert war wie eine Flaschenbürste.
»Was meinen Sie?«, fragte Mina. Zwischen den Bäumen drüben beim Wäldchen herrschte immer noch Bewegung. Im nächsten Moment traten zwei größere Schemen zwischen den Stämmen hervor. Mina erschrak, aber Rosa neben ihr machte plötzlich ein kleines, glückliches Geräusch; und Tausendschön zwinkerte verschmitzt.
»Und ewig währten die Tage der Liebe …«
Er drehte die großen, dreieckigen Ohren den beiden Männern zu, die über die Lichtung kamen.
Den einen erkannte Mina sofort an dem struppigen Bart, den er trug, und als sie näher waren, sah sie auch die ernsten, freundlichen Augen darüber wieder. Sie erinnerte sich an seine große, knotige, raue Hand, die ihr in das Taterlager geholfen hatte. Schüchtern lächelte sie ihm zu. Mit einem Knicks versuchte sie es dieses Mal nicht.
»Ah«, sagte er und nahm den bunten Filzhut ab, um sich über die Stirn zu wischen, »unser kleiner Gast, wie schön, dich wohlauf zu sehen.«
»Das ist Mina, Nad«, sagte Lilja und legte wie selbstverständlich einen Arm um Minas Schultern. Ihr Kleid roch nach Wald und Wasser, und ihre Haare wehten Mina weich ins Gesicht.
»Mina, was für ein hübscher Name.«
Auch der zweite Schemen war ein Mann, viel jünger als
der andere. Sein Bart war kurzgeschnitten, kaum mehr als ein Nachtschatten auf seinen Wangen und seinem breiten, vorwitzigen Kinn, und die Augen, die Mina ansahen, glänzten wie reife schwarze Kirschen.
Er verbeugte sich vor ihr, und obwohl sie sein spöttisches Lächeln dabei sah, lief sie schon wieder rot an. Rosa trat an ihr vorbei und fasste ihn bei den Händen, als er sich wieder aufrichtete; mit einer schnellen Bewegung hatte er sie auf die Arme gehoben und schwenkte sie einmal im Kreis herum.
»Meine schönste Wiesenprinzessin.«
Rosa lachte und strampelte mit den Beinen.
»Lass mich nur wieder runter, verrücktes Mannsbild. Was soll denn Mina von uns denken!«
»Schön«, sagte Mina, ohne nachzudenken, aber statt zu lachen, strich Rosa ihr durch die Haare und neigte den Kopf. In ihrer Verbeugung lag kein Spott.
»Ich glaube«, sagte sie, »ich kenne überhaupt kein Mädchen, das so höflich und freundlich ist wie du, Mina.«
»Und hübsch noch dazu«, sagte der junge Mann; es musste Viorel sein, dachte Mina. »Nächstes Jahr wickelt sie so viele feine Herren um den Finger, dass jemand sie in einer Schubkarre hinter ihr herfahren muss.«
Rosa schlug ihm leicht auf die Wange.
»Genug, du machst sie nur verlegen, närrischer Kerl.«
Für einen Moment kam es Mina so vor, als ob Lilja sie sanft an sich drückte. Ob sie sich irrte oder nicht, es half ein wenig gegen die Verwirrung, die die Kirschenaugen mitgebracht hatten.
Zinni fing an, an Viorels losem Hemd zu zupfen.
»Ich will auch auf den Arm!«
Er lachte und setzte Rosa ab.
»Vielleicht«, sagte Pipa missmutig, »sind ja bald alle fertig mit der Begrüßung …«
Nad drückte sich den bunten Hut zurück auf den Haarschopf, der so struppig war wie sein Bart; struppig und von einer Farbe wie feuchtes Herbstlaub. Man konnte es beinahe riechen, schwer und erdig, und man dachte an Igel, die sich unter solchem Laub behaglich vor dem Winter versteckten.
»Mein kluges Töchterchen hat Recht.« Er strich ihr über den Rücken, und ihre Bäckchen glühten noch röter als sonst. »Es ist schön, dass wir alle wieder zusammen sind, aber hier können wir nicht mehr bleiben. Es ist einiges unterwegs auf den Straßen.«
Wie zur Bestätigung hörten sie den Hund wieder bellen; oder waren es mehrere? Mina war froh um den leichten, warmen Arm, der immer noch um ihre Schultern lag.
»Mina«, sagte Lilja, »möchte jemanden besuchen.«
Im Gras zu ihren Füßen richtete Tausendschön sich auf.
»So?«, maunzte er gedehnt und sah sie an. »Und wer ist das wohl, Fräulein Mina?«
»Meine Tante. Jemand hat … hat von ihr gesprochen. Und nun glaube ich …« Mina
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