Der siebte Schwan - Mer, L: Der siebte Schwan
den Halmen. Sie pflückte einige, zusammen mit blühenden wilden Kräutern, und umwickelte die Stängel mit langen Gräsern, bis es fast wie ein wirklicher Blumenstrauß aussah. Es gehörte sich nicht, mit leeren Händen einen Besuch zu machen.
Wie seltsam es war, plötzlich wieder Dachgiebel über sich aufragen zu sehen … Nach der Weite der Felder, den schlanken, biegsamen Formen des Wäldchens wirkten sie streng, beinahe fremd, die langen, geraden Linien der Häuser, als sie in ihre Schatten trat. Die Fenster hinter den Gardinenwimpern schienen sie missbilligend anzublinzeln. Ein fremdes Mädchen in einem schmuddeligen Kleid, mit ein paar schäbigen Wiesenblumen in der Hand und ganz allein unterwegs - ts, ts, ts!
Nun, ganz allein war sie nicht. Sie sah sich nach Tausendschön um, der gehorsam hinter ihr hertrabte. Als sie stehen blieb, blickte er zu ihr auf. Die langen Schnurrhaare über seinen Augen zitterten, es sah aus wie ein Zwinkern. Aber er hielt sich an sein Versprechen und sagte kein Wort.
Wo stand es, das Haus der Tante? Es war so lange her, dass sie hier gewesen war, sie erinnerte sich kaum noch. Und die Gesichter der Häuser rechts und links schwiegen, verrieten ihr nichts. Weiter hinten, der große spitze Umriss, schwarz gegen den grellblauen Mittagshimmel, das musste die Dorfkirche sein. Mina legte die Hand über die Augen, und während sie hinüberschaute, kamen wieder Stückchen der Erinnerung zurück. Eine lange, gewundene Auffahrt hinter einem Park mit einer niedrigen Mauer darum … Konnte das, was sie als Kind für einen Park gehalten hatte, der Kirchhof gewesen sein?
Nachdenklich ging sie weiter durch das Dorf, auf die Kirche zu. Sie hielt sich an der Seite, im Schatten der niedrigen Häuser. Es fühlte sich richtiger an, als mitten auf der Straße zu laufen, und die spitzen Sonnenfinger erreichten sie so kaum. Nur ab und an, wenn sie an einer Lücke vorbeikam, griffen sie nach ihr und stachen ihr gleißend in die Augen. Es war viel zu warm für diese Jahreszeit, selbst am Mittag.
Am Kirchentor war sie schweißgebadet unter dem schweren Kleid und dem Mantel, und die Blumenstängel klebten an ihren Fingern. Aber sie konnte schräg hinter der Kirche tatsächlich eine lange, kiesbestreute Auffahrt sehen und an ihrem Ende ein großes, weißes Haus. Es war nicht der richtige Moment, sich zu kratzen wie ein verlauster Kettenhund.
Das Haus lag nicht zwischen Bäumen wie der Gutshof daheim, sondern frei auf einer Rasenfläche. Das Gras war so kurzgeschoren, dass die nackte Erde hindurchsah, trocken und fahl. Es gab keine Büsche, keine Sträucher. Nur die nüchterne, blassgrüne Fläche, die den Kiesweg zum Haus hin begleitete.
Mina drückte die Blumenstängel fester zwischen den Fingern. Auf dem schmalen Weg brannte die Sonne. Tausendschön hielt sich an ihrer Seite, in dem schwachen Schatten, den ihr Rock auf den Kies warf. Als sie nur noch ein Dutzend Schritte von den Stufen entfernt waren, die zur Haustür hinaufführten, zupfte er mit einer Pfote an Minas Mantelsaum.
Er hielt sich an sein Versprechen, blickte nur mit seinen großen Augen zu ihr auf, in denen die Sonne gelblich gleißte. Die Spitzen seiner Ohren zuckten zum Rasen hin. Mina nickte und sah ihm dabei zu, wie er erleichtert über das Gras davontrabte.
Aus der Nähe war das Haus klein, viel kleiner als der Gutshof; es wirkte beinahe schüchtern, wie es da saß inmitten der leeren grünen Fläche. Der Giebel war weicher, flacher geschwungen, die Fenster niedriger. Aber die Spitzengardinen hinter der blinkenden Scheiben waren die Gleichen wie zu Haus, zart und gleichzeitig undurchdringlich. In den Räumen dahinter würde es kühl sein, kühl und dämmerig. Vielleicht erinnerte sie sich richtig, was das Kinderlachen betraf; vielleicht kannte ihre Tante die Bedürfnisse von kleinen Leuten und würde ihr kaltes Zuckerwasser anbieten statt warmem Tee. Aber selbst wenn sie es nicht tat, war es Zeit, hineinzugehen.
Schweißtröpfchen sammelten sich an Minas Haaransatz. Und sie hatte kein Taschentuch. Das gläserne Vordach über der Haustür bot keinen Schutz vor der Sonne; verstohlen wischte Mina sich über die feuchte Stirn, strich sich noch einmal die Haarsträhnen zurecht. Nahm schließlich den schweren Türklopfer in die Hand. Das Geräusch, mit dem er gegen das Holz zurückfiel, hallte dumpf in der Mittagsstille.
Als die Tür sich öffnete, trat Mina unwillkürlich einen Schritt zurück.
Scharfe, helle Augen musterten sie
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