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Der siebte Schwan - Mer, L: Der siebte Schwan

Der siebte Schwan - Mer, L: Der siebte Schwan

Titel: Der siebte Schwan - Mer, L: Der siebte Schwan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lilach Mer
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meiner Zeit …« Die hageren Wangen der Tante schimmerten rosig auf. »Ach, liebes Kind, was haben wir für wunderbare Sträuße gebunden, wenn uns der Sinn danach stand! Deine Mutter war auch schon damals nicht so geschickt darin; und natürlich war sie viel jünger und konnte gerade die Stiele halten, wenn ich sie zusammenband.
Aber ich brachte ihr einige der einfachen Dinge bei, und wenn meine Freundinnen zu Besuch kamen, plünderte sie für uns die Beete. Wir gaben ihr Bonbons dafür, aus der silbernen Bonbonnière. Sie nahm sie damals mit, als sie heiratete.«
    Eine silberne Bonbonniere … Mina wusste, dass eine zu Hause im Damensalon stand, auf einem der Fenstersimse. Rote Bonbons waren darin, die zu den Vorhängen passten; rote, süße, klebrige Bonbons, die man nicht anrühren durfte, weil einen sonst müde, traurige Blicke trafen, Blicke, die man nicht aushalten konnte. Jetzt, als sie daran dachte, schienen sich Mädchenköpfe in dem blanken, getriebenen Metall zu spiegeln, lachende Münder und zu Schnecken aufgedrehte Zöpfe, in denen Blüten wippten … Mädchenköpfe, wie der auf der Gemmenbrosche, die die Tante trug. Es war genau die gleiche, wie Mutter sie hatte.
    Die Tante sah an ihr vorbei, hinaus in den Garten.
    » Lass uns einig sein , flüstert die Eisbeere. Deine Reize sind himmelsgleich , sagt die Ranunkel. Ich liebe, bekennt der Heliotrop.«
    Ihre Stimme wurde leiser und leiser. Die letzten Worte verstand Mina kaum noch.
    Die Tante seufzte; vielleicht war es auch ein zartes, wehmütiges Lachen.
    »Wir waren Kinder, wir wussten nicht, was wir da zusammensteckten. So wenig wie du heute. Wir wussten nichts von der Liebe. Und als wir es lernten, sie zuerst, die Hübschere, obwohl es ungehörig war, dass die Jüngere vor der Älteren die Ehe einging - es gab beinahe einen Skandal! Als wir es lernten, kamen die Haushaltspflichten, und man musste froh sein, Zeit für ein paar einigermaßen ansehnliche
Rosen zu finden, die man eilig in eine Vase warf. Aber die Zeit vergeht, Wilhemina. Die Zeit vergeht …«
    Ihre Stimme versickerte. Es war sehr still in dem heißen Salon. Auch im ganzen übrigen Haus schien sich nichts zu rühren. Mina sah auf ihre klebrigen Hände und fragte sich, ob die Tante an den Onkel dachte, der vor Jahren verstorben war. Sie erinnerte sich nicht an seinen Namen. Nicht einmal ein blasses Bild stellte sich ein, keine Erinnerung an den Geruch eines bestimmten Pfeifentabaks, keine Stimme, die leise an die Hintertür ihres Gedächtnisses klopfte. Aber das Kinderlachen - das Kinderlachen irgendwo draußen im Garten, während sie bei Mutter und Tante saß -, dieses Lachen hörte sie noch in sich.
    Die Tante hielt das Gesicht zu den großen Fenstern gewandt. Die Seidenblumen flirrten im Licht. Ja, Mina konnte fühlen, wie die Zeit verging; die Zeit, die sie noch hatte, endlich Worte zu finden - die Worte, um deretwillen sie hergekommen war. Sie fühlte es an dem Gewicht der Spieluhr in ihrer Tasche. Schwerer und schwerer schien sie den dünnen Stoff nach unten zu ziehen, je länger Mina zögerte. Vielleicht gab es gar keine richtigen Worte. Vielleicht gab es nur die, die ihr einfielen, jetzt, in dieser Minute, und sie mussten ihre Aufgabe erfüllen, irgendwie.
    Mina griff nach dem einzigen Strohhalm, den sie sehen konnte. Irgendwie musste sie das Gespräch auf Kinder bringen. Alle Frauen sprachen gerne über Kinder. Und diese hier auch über Blumen.
    »Sie wissen wirklich sehr viel über Blumen«, sagte sie. In der Stille klang es überlaut. Tante Elisabeth drehte den Kopf zu ihr, mit einer einzelnen, seltsam eckigen Bewegung, als säße in ihrem Hals ein Scharnier.

    »Viel? Mein liebes Kind, viel ist bei Blumen nicht genug. Ich weiß alles, alles, was es über sie zu wissen gibt.«
    Mina blickte auf den schmalen, leuchtenden Blütenstreifen, den sie von ihrem Platz aus erkennen konnte, und nickte hastig.
    »Ja, das sehe ich, das sehe ich wirklich. Und es tut mir leid, dass ich Ihnen so einen unpassenden Strauß mitgebracht habe. Es ist bestimmt eine Kunst für sich, die richtigen Sträuße für den richtigen Anlass zusammenzustellen …?«
    Sie ließ den Satz im Hauch einer Frage ausklingen.
    »Natürlich. Es wurden Bücher darüber geschrieben, kleines Fräulein, von gebildeten Männern, und es sind sehr dicke Bücher. Die meisten jedenfalls. Es gibt so viele Fragen, was das betrifft, so viele Fehler, die man begehen kann. Welche Farben zur Hochzeit. Welche Blüten zu welcher Art

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