Der siebte Schwan - Mer, L: Der siebte Schwan
unter einer Hutkrempe, über und über mit Seidenblüten bedeckt. Ihr Blick kam von sehr hoch oben.
»Sie wünschen.«
Es war keine Frage, und die große, hagere Frau, die sie nicht stellte, war kein Dienstmädchen. Kein schwarzes, mattes Kleid, keine weiße Rüschenschürze. Stattdessen etwas Buntes unter der hohen, engen Taille, mit vielen Falten, die sich im Luftzug in alle Richtungen sträubten. Es konnte das sein, was Mademoiselle einmal einen Kimono genannt hatte.
Mina schluckte und knickste hastig.
»Guten Tag und Verzeihung, gnädige Frau. Sind Sie … Ich meine … Ich wollte zu meiner Tante. Meiner Tante Frau Elisabeth Lorenzen. Ich bin Wilhelmina. Wilhelmina Ranzau.«
Sie hielt den Blumenstrauß hoch. Unter dem Blick, den die Frau darauf warf, kam er ihr noch kläglicher vor.
»Nun«, sagte die Frau und schnalzte missbilligend mit der Zunge, »was ist nun dies? Ein schönes Durcheinander. Salbei und wilde Nelken, in einem Strauß!«
»Es … es tut mir leid«, stammelte Mina. »Ich wusste nicht … Ich wollte nur …«
»Du solltest aber wissen.« Mit spitzen Fingern nahm die große Frau den Strauß aus Minas klebrigen Händen entgegen. »Ein junges Fräulein wie du.« Sie klang beinahe wie Mademoiselle.
Mina faltete die leeren Hände und sah auf ihre Stiefelspitzen.
»Na«, sagte die Frau, »die Erziehung ist heute eben nicht mehr das, was sie früher einmal war. Aber du kommst nun wohl besser herein, junges Fräulein. Stehst hier ganz allein vor der Tür. Ist nicht einmal ein Mädchen mit dir gekommen? Das sind die Sitten heutzutage …«
Sie legte den Kopf schief, ihre Lippen wurden schmal; wirklich, ganz wie Mademoiselle. Aber sie öffnete die Tür hinter sich weiter, und erleichtert folgte Mina der Einladung.
Es war nicht kühler im Flur, als sie hinter dem wehenden Kimono über die Schwelle trat. Vielleicht war es sogar noch heißer als draußen, heiß und stickig. Es gab keine Fenster, nur ein paar geschlossene Türen, hoch, weiß lackiert, wie zu Haus. Der Fliesenboden hatte andere Farben als im Gutshaus und kam Mina ein klein wenig staubig vor, aber das Muster war ganz dasselbe. Ihre Absätze klickten vertraut, als sie darüberging, und langsam entspannte Mina sich etwas.
»Wir wollen uns in den Salon setzen.«
»Sehr wohl«, sagte sie gehorsam. Der bunte Kimono hielt vor einer der Türen an.
»Ich will in der Küche Bescheid geben, dass wir einen Tee bekommen.« Die Tür wurde aufgezogen, und mattes, gelbliches Licht sickerte in den engen Flur. Die Frau - war es denn die Tante, oder doch mehr eine Gesellschafterin? - trat beiseite, und Mina schritt so damenhaft wie möglich an ihr vorbei; damenhaft genug vielleicht, denn ein erstes schmales Lächeln glitt über das hagere Gesicht unter der Hutkrempe.
»Setz dich nur schon, Wilhelmina. Ich bin gleich zurück.«
Die Stimme verklang irgendwo mit ihren Schritten. Hinter
Mina klackte die Tür; sie war allein und sah sich neugierig um.
Vertraute Formen. Ein geschwungenes Sofa mit Blumenmuster in Chintz, strengbeinige Stühle daneben. Ein schweres Vertiko, ein paar zierliche Tischchen, Porzellanfiguren und Spitzendeckchen, die etwas vergilbt wirkten. Steife Vorhänge an einer Wand, vor einer Rankentapete, fest zugezogen. Unwillkürlich atmete Mina auf, obwohl es auch hier nicht merklich kühler war als im Flur.
Sie trat vor einen goldgerahmten Spiegel, musterte hastig ihr Gesicht, ihre Haare. Es war nicht so schlimm, wie sie befürchtet hatte. Tausendschön, dachte sie und lächelte, war ein guter Coiffeur, besonders für einen Kater. Nur ein paar dünne lose Strähnen klebten auf ihrer Stirn, und der Schweiß glänzte unansehnlich auf Nase und Wangen. Als sie ihn mit dem Ärmel abwischen wollte, stieß sie beinahe die Glasvase um, die vor dem Spiegel auf einer Kommode stand; leer, aber bis zum Rand mit Wasser gefüllt. Ein, zwei Tropfen fielen herunter, und während sie fielen, ahnte Mina hinter sich eine Bewegung.
Sie fuhr herum, schuldbewusst, und starrte wieder nur sich selbst ins Gesicht. Da war ein zweiter Spiegel, gerade gegenüber. Auch vor ihm eine leere, wassergefüllte Vase. Hatte sie die Tante beim Blumenarrangieren gestört?
»Setz dich nur«, sagte es von der Tür her, »setz dich, der Tee ist gleich so weit.«
Der Hut mit den Seidenblumen wippte an ihr vorbei, der Kimono flatterte. Verstohlen rieb Mina die Wasserflecken weg, bevor sie sich in ein niedriges Sesselchen setzte, mit Troddeln an den Armlehnen und Fransen
Weitere Kostenlose Bücher