Der siebte Schwan - Mer, L: Der siebte Schwan
von Ball. Kann man zum Ende der Saison noch guten Gewissens Päonien tragen? Sind weiße Rosen zu wenig, roséfarbene schon zu viel, wenn man noch nicht als Galan akzeptiert wurde?«
»Welche Blumen«, sagte Mina vorsichtig, »würde man denn wohl zu …« Sie brachte es nicht über sich, das Wort »Geburt« auszusprechen. Es erfüllte sie mit unsäglicher Scham. »Welche würde man zu einer … Taufe mitbringen?«
Die Tante zuckte plötzlich zusammen, und die zarte Rosenfarbe auf ihren Wangen vertiefte sich in ein fleckiges Rot.
»Ich frage nur«, sagte Mina hastig und griff nach dem erstbesten Geschichtenfaden, den sie zu fassen bekam, »weil man mich zu einer Taufe eingeladen hat, und ich …
ich fühle mich unsicher, seit meine Lehrerin nicht mehr da ist. Ich weiß, ich sollte es wissen, aber …«
»Nichts«, sagte die Tante rau. »Über Taufen gibt es nichts zu wissen. Kinder vertragen sich nicht mit Blumen. Sie zertrampeln sie. Rollen durch die Beete, bis alles verdorben ist. Bringen sich das Zählen bei, indem sie Blütenköpfe abreißen.«
Ihr faltiger Hals bewegte sich über dem Gemmenkopf, als sie schluckte. Eine unbehagliche Pause, in der die Stille im Haus sich beinahe fühlbar dehnte. Immer noch kein Klappern von Teegeschirr auf dem Flur. Und immer noch Hitze.
Ungeschickt versuchte Mina, den Gesprächsfaden irgendwo wieder anzuknüpfen. »Ich sehe, dass Sie sich schon Vasen bereitgestellt hatten. Sicher hatten Sie gerade vor, den Gärtner ein paar von den herrlichen Blumen schneiden zu lassen. Wollten Sie sie auch nach diesen … besonderen Regeln zusammenstellen?«
»Blumen schneiden!« Tante Elisabeth raffte den Kimono vor der Brust zusammen, als müsse sie sich vor etwas schützen. »Mein liebes Kind, wo denkst du hin! Sicher, du bist jung, von dir kann man nichts anderes erwarten, als dass du sie ausreißt, wo du sie findest. Aber - Blumen schneiden!«
Die Blüten auf ihrem Hut zitterten.
»Nur, wenn sie unartig sind. Nur dann. Ordnung, siehst du, Ordnung muss sein. Wer seine Kinder …«, sie stockte kurz, »… wer seine Kinder liebt, der züchtigt sie auch. Ich bin sicher, deine lieben Eltern halten es genauso.«
Mina wusste nicht, was sie tun sollte, also nickte sie.
»Sie spielen«, sagte die Tante heiser, stand ruckartig auf und trat an die Fenster. »Spielen den ganzen Tag, von
morgens bis abends, und natürlich auch in den Beeten. Man ruft sie zur Ordnung, einmal, zweimal, hundertmal. Kommt ins Haus! Kommt zum Essen! Kommt! Kommt …«
Sie machte ein Geräusch tief in der Kehle, das wie das Klacken der Spieluhr klang, wenn der Mechanismus nicht griff.
»Sie folgen nicht, so oft man auch ruft. Erst das eine nicht mehr; dann auch das andere. Dabei hört man sie tuscheln, wispern, ganz in der Nähe; sogar nachts, wenn sie schlafen sollten in ihren kleinen Bettchen, ihren Beetchen, ihren … sogar nachts.«
Sie legte die Hände gegen die Scheibe, wie Mina es getan hatte. Die Sonne ließ ihre hageren Finger grellrot aufglühen, und ihre Knöchel wurden weiß.
»Kommt … kommt … kommt doch …«
Mina hörte die Scheibe in ihrer Einfassung knirschen. Sie rutschte in ihrem Sessel nach hinten, bis an die Rückenlehne.
»Verzeihen Sie«, sagte sie stockend, »wenn ich Sie verärgert habe, ich wollte …«
»Verärgert!« Tante Elisabeth warf den Kopf zurück, dass die Bänder des Huts gegen ihren Rücken klatschten. »Verärgert! Ja, ich bin verärgert, wenn sie nicht hören, wenn sie nicht folgen, wenn sie ihre Mutter durch den Garten irren lassen und rufen, rufen … Sollte ich das nicht sein? Was habe ich nicht getan, um ihnen eine gute Erziehung zu geben, was habe ich nicht geopfert! Und wie danken sie es mir? Sind sie in ihren Zimmern, wenn es Zeit ist für das Nachtgebet, falten sie brav die Blätter? Nein!«
»Die … die Blumen?« Mina hauchte die Worte nur, aber
der Kopf der Tante fuhr abermals herum wie eine Kreuzotter im Gras.
»Natürlich!« Es war ein heiseres Bellen.
Mina krallte die Hände in den Sitz, als die Tante auf sie zukam. Der Blütenhut senkte sich auf sie nieder, und die hellen Augen gruben sich in ihre.
»Natürlich die Blumen, wer sonst als die Blumen?« Aus dem Bellen wurde ein scharfes Flüstern. Mina starrte in die beiden farblosen Kreise unter dem damenhaften Hut. »Siehst du hier irgendjemanden sonst als die Blumen?«
»Nein«, stammelte Mina.
»Nein«, die Tante nickte, mit einem Lächeln, das so sehr nach alltäglicher Zufriedenheit aussah,
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