Der siebte Turm 01 - Sturz in die Dunkelheit
eine dreieckige Öffnung frei, die von zwei Rücken an Rücken stehenden Stühlen gebildet wurde. „Weshalb kannst du nicht einfach eine normale Tür haben?“, fragte Tal in den schmalen Tunnel hinein, der durch den Möbelstapel führte. Er ging in die Knie und spähte hindurch. Von Ebbitt war nichts zu sehen, doch das Kissen war ganz sicher seine besondere Art eines Willkommensgrußes.
„Los“, sagte Tal zu Milla und quetschte sich durch die Lücke. „Es mag so aussehen, als würde alles gleich einstürzen, aber Ebbitt ist ein Fachmann für solche Dinge.“
„Hinter all diesem Müll steckt Methode?“, fragte Milla. Dann kniete sie sich ebenfalls hin und folgte Tal.
Die Barriere aus aufgestapelten Möbeln reichte weiter, als Tal erwartet hatte. Er musste sich um mehrere Kurven winden, bevor er in einen relativ freien Bereich kam. Wieder war alles anders als bei seinem letzten Besuch. Von Ebbitts altem Thronsessel war keine Spur mehr zu sehen.
Ebbitt selbst jedoch war da. Er trug die weiße Robe eines Untervölklers und eine indigofarbene Jacke, die er seit seiner Degradierung zum Roten Orden eigentlich nicht mehr anziehen durfte.
Er lag auf einem langen gepolsterten Sofa. Seine Augen hatte er mit einer Schlafbinde abgedeckt. Sein Geistschatten, eine große Katze mit dicker Mähne, saß zu seinen Füßen und beobachtete Tal aufmerksam.
„Geh weg“, sagte Ebbitt und winkte schwach mit einer Hand. „Ich habe Kopfschmerzen.“
„Ich auch“, gab Tal zurück. „Ich brauche deine Hilfe, Onkel Ebbitt. Es ist sehr wichtig.“
„So wichtig, dass du es zwei Wochen nicht nötig hattest, mich zu besuchen?“, fragte Ebbitt ohne sich zu rühren.
„Das darf nicht wahr sein!“, rief Tal. „Ich habe dich nicht besucht, weil ich vom ROTEN TURM GEFALLEN BIN!“
Seine Stimme ließ Ebbitt zusammenzucken, hatte jedoch eine noch dramatischere Wirkung auf Ebbitts Geistschatten. Er sprang auf die Beine und stellte sich sprungbereit auf.
Erst eine Sekunde später wurde klar, dass der Geistschatten gar nicht auf ihn reagiert hatte. Milla war gerade eben aus dem Tunnel gekrochen.
„Unternimm nichts!“, sagte Tal. Er war sich selbst nicht sicher, ob er zu Milla oder zum Geistschatten sprach.
„Was ist denn los?“, fragte Ebbitt vorsichtig. Er nahm seine Augenbinde ab und setzte sich blinzelnd auf. Als er Milla sah, die trotz Tals Warnung ihr Schwert gezogen hatte, hob er die Hand. Der Sonnenstein-Ring an seinem Finger strahlte plötzlich hell auf.
„Tu es nicht!“, rief Tal. „Keiner unternimmt hier etwas!“
„Wer… oder was… ist das?“, fragte Ebbitt, als er langsam aufstand. Er senkte seine Hand nicht.
Tal sah, dass Milla ihre Maske wieder auf- und die Kapuze übergezogen hatte. Die bernsteinfarbenen Linsen leuchteten Angst einflößend im Licht des Sonnensteins und die Mundöffnung war nur ein schwarzes Loch. Sie sah tatsächlich aus wie ein Monster.
„Nimm bitte deine Maske ab“, seufzte er. „Niemand wird dich angreifen. Stimmt’s, Onkel?“
„Wenn du meinst“, sagte Ebbitt, der beim Erklingen des Wortes Maske ziemlich erleichtert zu sein schien. Und noch mehr, als Milla sie tatsächlich abnahm. „Aber ich frage noch einmal: Wer bist du? Du hast einen natürlichen Schatten, doch du scheinst mir nicht zum Untervolk zu gehören.“
„Ich bin Milla von den Far-Raidern. Tochter von Ylse, ihrerseits Tochter von Emor, ihrerseits Tochter von Rohen, ihrerseits Tochter von Clyo aus der Linie von Danir nachdem das Schiff zur Ruine wurde.“
Ebbitt setzte sich wieder.
„Sie ist von draußen“, sagte Tal. „Sie nennen sich Eiscarls.“
Ebbitt sagte kein Wort. Sein Geistschatten drehte sich zu ihm um und hob dann eine Schattenpfote, um ihm damit die Wange zu tätscheln.
„Onkel Ebbitt?“, sagte Tal. Er machte sich plötzlich Sorgen.
Der Geistschatten schlug Ebbitt einmal heftig gegen die Brust und der alte Mann hüstelte keuchend.
„Von draußen?“, schnaufte er. „Von außerhalb des Schlosses?“
„Ja“, erklärte Tal. „Da war ich in den letzten Tagen. Ich bin vom Roten Turm abgestürzt. Mein Schattenwächter hat mich gerettet.“
Ebbitt holte tief Luft und griff unter das Sofa. Er holte eine Kristallflasche mit einem langen, schmalen Hals hervor. Tal sah ein Glas daneben stehen, doch Ebbitt verlor keine Zeit. Er zog den Korken aus der Flasche und nahm ein paar ausgiebige Schlucke.
„Der destillierte Saft der Halo-Blume“, erklärte er und stellte die Flasche wieder ab.
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