Der siebte Turm 04 - Jenseits der Grenze
Schlüsselsteins. Der Stein wurde geöffnet, also lebt er nicht mehr. Wenn der Orangefarbene Schlüsselstein nicht geschlossen wird, lebt er nicht. Wenn er geschlossen wird, wird er wieder leben?“
Tal holte tief Luft und stand auf, bevor er fortfuhr. Er sprach schneller und entschlossener weiter.
„Deswegen will ich wissen, was Schlüsselsteine sind und wie man sie öffnet oder schließt. Und ich bin der Meinung, dass Milla es auch wissen muss, denn es geschehen furchtbare Dinge und wir müssen uns zusammensetzen und miteinander reden, ganz gleich ob wir Erwählte oder Unt… Freivölkler oder Eiscarls sind oder irgendetwas dazwischen, denn wenn der Schleier zerstört ist, die Sonne hindurch bricht und Schatten aus Aenir einschwärmen, dann werden sie uns alle töten! Wir sollten zusammenarbeiten, anstatt gegeneinander zu kämpfen und zu streiten und Sushin und den Aenirern damit zu helfen, die Macht zu übernehmen!“
Tals inbrünstige Worte hatten eine unglaubliche Wirkung auf Ebbitt. Der alte Mann hatte sein Auf- und Abgehen unterbrochen, als Tal angefangen hatte zu reden, und sich gerader und größer aufgerichtet, als ihn jemals jemand hatte stehen sehen. Sein Geistschatten stand in gewohnter, ruhiger Art neben ihm. Dann sprach Ebbitt in einem Ton, den Tal noch nie von ihm gehört hatte. Es war eine sichere und irgendwie noble Stimme, er schweifte nicht ab oder sprach in Rätseln. Einen Moment war Ebbitt wieder der Schattenlord des Indigo-Ordens, der er einmal gewesen war – ein großer Mann unter den Erwählten.
„Sieben Schlüsselsteine stehen in sieben Türmen und bilden die Grundfesten des Schleiers“, sagte er. „Sieben Wächter kennen die Geheimnisse der Steine. Mein Neffe Rerem war tatsächlich der Wächter des Orangefarbenen Schlüsselsteins so wie mein Bruder vor ihm. Wenn der Kodex Tal erzählt hat, dass der Orangefarbene Schlüsselstein offen ist, dann ist der Schleier wirklich bedroht. Denn wenn alle sieben Schlüsselsteine ausfallen, wird der Schleier sich auflösen.“
Im Raum war es still, nachdem Ebbitt gesprochen hatte. Alle starrten ihn an, sogar Crow. Ebbitt hielt ihren Blicken ohne zu blinzeln stand. Dann schienen seine Augen zu flimmern und er sah zur Decke.
Die Stille wurde wiederum von seiner Stimme unterbrochen. Dieses Mal war sie leiser und seine Haltung wurde wieder unsicherer. Er wirkte jetzt wieder mehr wie der alte, exzentrische Ebbitt.
„Sonne und Schatten“, sagte er. „Sonne und Schatten. Der Schleier mag vielleicht die Sonne abhalten, aber er kann nicht den Hochmut und die Habgier der Erwählten fern halten. Wir hätten Ramellans Anweisungen Folge leisten und niemals nach Aenir zurückkehren sollen. Alles, was kommen wird, haben wir selbst zu verantworten.“
„Der Orangefarbene Schlüsselstein offen“, echote Jarnil. Schweißperlen standen auf seiner Stirn. „Offen. Meine Kusine Lokar war die Wächterin des Roten. Sie verschwand ein Jahr vor Rerem und…“
Jarnils Gesicht wurde weiß und seine Stimme beinahe unhörbar leise. Er nahm einen tiefen Schluck aus seiner Süßwasser-Tasse, so als würde ihm das Erleichterung von einer großen Angst verschaffen.
„Mir fällt gerade etwas noch viel Schlimmeres ein“, flüsterte er. „Vor zweiundzwanzig Jahren verschwand Schattenlord Verrin vom Indigo-Orden spurlos, genauso wie Lokar und Rerem. Er war der erste Erwählte in den letzten hundert Jahren, der ohne Erklärung spurlos verschwand. Er war wahrscheinlich der Wächter des Indigofarbenen Schlüsselsteins. Der Erste, der verschwand.“
Jarnil war jetzt ernsthaft erregt. Er sprang auf und packte Ebbitt am Arm.
„Vor zweiundzwanzig Jahren, Ebbitt! Am selben Tag als die drei Erwählten zu lange in Aenir blieben!“
Ebbitt zog sanft Jarnils Finger weg, sagte aber keinen Ton. Er starrte weiter den Sonnenstein an der Decke an und Tal hörte ihn eine leise, düstere Melodie summen.
„Was ist mit den Erwählten, die zu lange in Aenir blieben?“, fragte Tal.
„Der Einzige, der zurückkam, war Sushin“, flüsterte Jarnil. „Er erklärte nie, was geschehen war und stritt jede Kenntnis über die beiden anderen ab. Er war mehr als einen Monat zu lange dort geblieben, wurde aber nicht bestraft. Verrin verschwand nicht lange nach Sushins Rückkehr. Mir war noch nie zuvor der Gedanke gekommen, dass da eine Verbindung besteht.“
„Das ist die Sache der Erwählten“, unterbrach Crow Jarnils Sinnieren. „Ihr redet von der Zerstörung des Schleiers. Was geht
Weitere Kostenlose Bücher