Der Sieg nach dem Krieg
Bezugsberechtigten für eine halbe Lebensmittelration.
Auf dem verbliebenen Rad strampelten die beiden mit ihren Salatköpfen bei abwechselnder Tretarbeit zurück. Besatzer fuhren vorbei, machten unflätige Bemerkungen, hielten aber nicht.
Bei einer der zahlreichen Verschnaufpausen fuhr wieder ein Jeep mit Soldaten vorbei. Plötzlich wurde Eva am Kopf getroffen. Ein Stein? Ein Schuß? Im ersten Augenblick dachte sie, es sei das Ende, bis Susanne ein Päckchen entdeckte, das neben ihr im Gras lag, ein Päckchen amerikanischer Drops.
Der Schock, verursacht durch den ungeschickten Samariter, erwies sich als heilsam. Er beendete die Trostlosigkeit. Mit klebrigen Fingern, Süsses im Mund, konnten beide wieder lachen. Es gibt eben eine Grenze, von der ab man, bei einigem Training, selbst bösartiges Pech nicht mehr ernstnimmt.
»Am Isartor soll’s Fisch geben !«
Das hörte sich an, als sei Vorsicht geboten, wenn man nicht wußte, w T oher die Ware kam, wie lange sie schon unterwegs war. Wer hier zugriff, lebte in Not, hatte vielleicht einen nicht gemeldeten Verwandten mit durchzufüttern. Da gab es kleine Mitläufer, die einen gehobenen Nazi versteckten, der ihnen jahrelang Vorteile verschafft hatte. Aber auch Unbescholtene gab es, ehemalige Soldaten oder Offiziere, die ihre Entlassung aus der Wehrmacht nicht rechtzeitig hatten betreiben können. Wenn sie sich jetzt erst meldeten, mußten sie befürchten, noch in Kriegsgefangenschaft exportiert zu werden. Und eine dritte Gefahr bestand in der Namensgleichheit mit einem gesuchten Nazi. Aber auch Allerweltsnamen, wie Karl Meier, Otto Müller, Willi Schmid, boten sich zu Verwechslungen an. Mancher Harmlose saß irgendwo eingesperrt und wußte nicht, wie er nachweisen sollte, daß er mit dem Gesuchten gleichen Namens nichts zu tun habe.
Karin, die dem Fischgerücht nachging, fütterte einen nicht entlassenen, hohen Offizier mit durch, der auf Grund seines Namens Verwechslungen befürchten mußte. Gegenüber den Nachbarn wurde der alte Herr als Todkranker geführt. Betrat ein Fremder das Haus, verkroch er sich ins Bett. Nur nachts durfte er Luft schnappen.
Die obskure Adresse am Isartorplatz fand jeder. Man ging einfach den anderen und der Nase nach und kam so in den Hinterhof, wo zwei Fässer standen, aus denen Fisch verkauft wurde. Heringe, wie es hieß. Sie tropften und rochen penetrant. Die alten Zeitungen, in die sie eingewickelt wurden, meldeten deutsche Siege an allen Fronten. Das Papier sog sich voll und gab den Geruch so eindringlich zurück, daß die Kunden ihren Einkauf mit der Hand weit von sich hielten.
»Wo gibt’s denn da Fisch ?« fragten Passanten mit gerümpfter Nase.
Auf dem Heimweg hatte Karin das Gefühl, verfolgt zu werden. Tatsächlich ging ein Mann hinter ihr, immer im gleichen Abstand. Er trug keine Uniform, doch es gab wohl auch Zivilstreifen. Oder er hatte den gleichen Weg. Daß sie einem Zivilisten gefallen könnte, war damals nicht ihr erster Gedanke. Und hübsch war sie, wie ein Blick in eine heilgebliebene Schaufensterscheibe bestätigte.
An einer belebten Kreuzung blieb sie kurzerhand stehen. Er sollte ihr nicht folgen, wenn sie jetzt in ruhigere Straßen abbog. Der Mann trat neben sie, mit einem Meter Abstand. Jetzt mußte er weitergehen. Doch er konnte nicht, ein Militärkonvoi fuhr vorüber.
Streng sah Karin zu ihm hinüber.
Er lächelte sofort und zog den Hut. Kennen wir uns nicht? würde er gleich fragen, tat es aber nicht, gab ihr vielmehr einen Rat. »Essen Sie den Fisch nicht! Ich will’s Ihnen die ganze Zeit schon sagen. Ich wohne in dem Haus. Die Fässer sind gestern nachmittag stundelang in der prallen Sonne gestanden. Abends haben wir Wasser reingeschüttet, weil man kein Fenster mehr aufmachen konnte...«
Karin atmete auf. Er lächelte und griff in seine Tasche. »Werfen Sie die Fische weg! Hier haben Sie eine halbe Salami. Sie können sie ruhig nehmen. Ich bin Schweizer .«
Tanz unter dem Vulkan
W ir waren jung, wenn auch nicht mehr völlig naiv, sondern nach allem, was hinter uns lag, schon bewußter. Wir waren sehr viel länger jung. Von besserer Zukunft gründlich geheilt, beschränkten wir uns darauf, die Gegenwart so angenehm wie möglich zu gestalten. Mangels Erwartungen gab es keine Ansprüche, vor schädlichem Ehrgeiz schützte die allgemeine Aussichtslosigkeit. Deutschland sollte Ackerbauland werden. Ja und? Vorher sollte es bis zum Ural reichen.
Wir unterliefen die Ungewißheit, zogen es vor, uns zu
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