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Der Siegelring - Roman

Titel: Der Siegelring - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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darum.«
    »Aber eine Antwort hast du nicht gefunden?«
    »Nein, natürlich nicht. Ich frage mich nach wie vor, was Julian damit beabsichtigt hat. Er hat sich in den vergangenen Jahren zunehmend intensiver mit esoterischen und religiösen Themen beschäftigt, aber das weißt du ja, oder?«
    »Ja, mit mir hat er auch über derartige Gedanken gesprochen. Über Vorhersehung, Spuren der Vergangenheit, Rückerinnerung an vergangene Leben, Wiedergeburt. So ganz ernst genommen habe ich ihn dabei nicht. Ich war mit konkreteren Dingen beschäftigt.«
    Ich nickte. Mir war es ähnlich gegangen. Das Einzige, was mir ein mildes Interesse entlockte, war das Thema
Astrologie, das aber vor allem auf Grund des Einflusses, den diese »Wissenschaft« auf die geistige Einstellung der Menschen in früheren Zeiten hatte. Allerdings war ich neugierig genug, mir ein Geburtshoroskop stellen zu lassen und zusammen mit Julian zu deuten. Er nannte mich einen tiefgründigen Skorpion, zwar leidenschaftlich, da sich auch Venus und Merkur in diesem Zeichen befanden. Doch behauptete er, ich hätte einen sturen Steinbock-Aszendenten. Das war nicht ganz falsch, aber mein Vater kannte mich ja schließlich gut genug. Immerhin machte er Jupiter, der im Haus des Schützen stand, für meinen Optimismus verantwortlich. Nachdenklich sah ich Rose an. Drei Tage vor mir war sie geboren, und damit im harmonischen und schöngeistigen Zeichen der Waage. Das allerdings passte.
    »Ich habe mich manchmal mit ihm über den astrologischen Einfluss der Sterne auf den Charakter unterhalten«, sagte ich zu meiner Schwester. »Aber wenn er das weiter vertiefen wollte, habe ich meist abgeschaltet. Wenn er merkte, dass es an mir vorbeirauschte, hat er das Thema rasch wieder fallen lassen. Aber - weißt du, Rose - mich erschüttert das Datum des Briefes. Er hat ihn zwei Tage vor seinem Unfall geschrieben. Ob er vielleicht eine Vorahnung gehabt hat?«
    Rose hatte die Hände vor das Gesicht geschlagen und blieb so eine Weile still sitzen. Ich wusste, was sie fühlte. Cilly saß bewegungslos neben ihr und gab keinen Laut von sich. Nicht einmal ihr Atmen war zu hören.
    Dunkle Wolken waren aufgezogen, und graues Licht fiel durch die Fenster. Ein heftiger Windstoß ließ die Schindeln auf dem Dach leise klappern. Mich fröstelte plötzlich.
    »Anita!«
    Erschrocken fuhr ich zusammen. Rose war aus ihrer
Versunkenheit aufgetaucht und sah mich mit leuchtenden Augen an.
    »Was ist dir eingefallen, Schwester?«
    »Anita, Julian hat uns, glaube ich, voneinander erzählt. Schon seit unserer Kinderzeit. Weißt du - Geschichten über die Römer im Rheinland. Über Colonia, über die Germanen und die Gallier, die hier gelebt haben. Dutzende von Geschichten, manchmal nur Anekdoten, kleine kuriose Histörchen, manchmal ganze Dramen, manchmal echte Schwänke. Aber in den Sachen, die er mir erzählt hat, kam regelmäßig eine Heldin namens Annik vor. Eine keltische Töpferin!«
    Das Frösteln wurde stärker, ich konnte mich kaum beherschen. Meine Zähne klapperten, und ich verkrampfte die Hände so fest miteinander, dass die Knöchel weiß wurden.
    »Anita, was ist los? Du siehst aus wie ein Gespenst. Schnell, Cilly, hol ein Glas Wasser!« Rose war neben mir und nahm mich in die Arme. »Sag, was ist?«
    Mühsam versuchte ich, meine Gedanken in Worte zu fassen. Es kam erst ein wirres Gestammel dabei heraus.
    »Er hat mir diese Geschichten auch erzählt. Nicht nur von Annik. Von ihr habe ich geträumt. O Gott!«
    »Kannst du darüber sprechen?«
    Cilly reichte mir das Glas, und ich nahm dankbar einen Schluck, atmete tief durch, und die innere Verkrampfung löste sich ein wenig.
    »Eins nach dem anderen. Ja, Rose, er hat mir seine ›Römergeschichten‹ erzählt, und ich dachte, er wollte mein Interesse an der Antike damit wecken. Sie spielten ebenfalls in Colonia und Umgebung, etwa im ersten Jahrhundert unserer Zeitrechnung. Und sie hatten ebenfalls eine Heldin. Sie hieß Rosina, und sie war - unter anderem - eine Glasschleiferin.«

    »Das ist Wahnsinn!«
    »Ja, das ist es. Vor allem, weil er davon schon sprach, als du allenfalls Seifenblasen produzieren konntest und von Glasbläserpfeifen noch keine Ahnung hattest.«
    »Und du vermutlich noch mit bunter Knetmasse herumgemantscht hast.«
    »Vielleicht hat er daran ja unsere Talente erkannt!«
    Zum Glück kam mein Sinn fürs Absurde wieder zum Vorschein, und wir lächelten uns an, wenn auch noch ein wenig kläglich.
    »Ich werde den Eindruck

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