Der Siegelring - Roman
müsst Ihr sie ausziehen, damit ich einen Verband anlegen kann.«
»Ich bin nicht schamhaft, Barbarin!«, brummte Valerius Corvus.
Sie lachte leise und ging, um ihren Kupferkessel mit Wasser zu füllen und auf den Herd zu stellen. Auch den Weinkrug rückte sie in die Nähe des Feuers und gab Honig und Kräuter hinein. Dann öffnete sie ihre Truhe, entnahm ihr die dünne Leinentunika und ein Bündel. Als sie es öffnete, sah er, dass es einen Dolch enthielt.
»Was hast du mit dem Kleid und dem Messer vor?«
»Mit dem Messer das Kleid in Streifen schneiden, um Verbandstoff zu haben und dann - nun, ich werde vermutlich die Eintrittstelle des Pfeiles erweitern müssen, um ihn herauszubekommen. Ich möchte vermeiden, dass der Schaft abbricht.«
Sie nahm den Salbentopf vom Bord, zog einen Schemel an das Bett, legte darauf, was sie benötigte, dann füllte sie den warmen, gesüßten Wein in einen Becher und reichte ihn Valerius Corvus.
»Ich weiß, Ihr schätzt den schweren Roten, aber ich habe den hier gewürzt.«
»Lass das! Ich bin Schmerzen gewöhnt.«
»Na gut.«
Sie nahm den Dolch und erweiterte den Riss im Stoff der Hose über dem Oberschenkel.
»Ich flicke sie Euch nachher. Es ist bisher noch nicht viel Blut geflossen, aber das wird leider gleich geschehen.«
Sie inspizierte die Wunde und dann den Mann, der halb sitzend vor ihr an den Polstern lehnte. Sie schüttelte den Kopf, als sie seine geballten Fäuste bemerkte und legte das Messer zur Seite. Sie beugte sich über ihn, legte ihre Wange an sein vernarbtes Gesicht und drückte sich leicht an ihn. Er zuckte vor Überraschung zusammen, schwieg aber.
»Ruhig, ganz ruhig. Es ist gleich vorbei, Dominus. Es wird Euch nur noch kurz wehtun, dann ist es besser! Ich weiß schon, was ich tue!«, flüsterte sie ihm ins Ohr und blieb einen kleinen Moment so liegen. Als sie zurückglitt, hatte er die Hände entspannt und die Augen geschlossen. Sie arbeitete so schnell sie konnte, er stöhnte einmal auf, als sie in das wunde Fleisch schnitt und noch einmal, als sie mit einem kräftigen Ruck den Pfeil herauszog. Das Blut quoll hervor, und sie presste einen Stoffballen auf das Bein.
»Könnt Ihr den Bausch für mich halten, Dominus?«
Er öffnete die Augen und sah zu seinem Bein hin.
»Ja, natürlich.«
Er übernahm den Stoff und hielt ihn fest, während Annik die Riemen seiner Stiefel löste.
»Wenn die Blutung etwas nachgelassen hat, wasche ich die Wunde aus und lege den Verband an. Bewegt Euch jetzt so wenig wie möglich, wenn ich Euch die Stiefel ausziehe.«
Er nickte und ließ sie ihre Aufgabe durchführen.
»Du ziehst einem Mann nicht das erste Mal die Stiefel aus, was, Barbarin?«, fragte er mit einem leichten Grinsen.
»Ich ziehe auch nicht den ersten Pfeil aus dem Fleisch,
Dominus. Ihr wisst doch, mein Volk scheut sich vor keiner zünftigen Auseinandersetzung!«
»Das war keine zünftige Auseinandersetzung, das war ein heimtückischer Angriff.«
»Wahrscheinlich. Aber darüber reden wir später. Lasst sehen!«
Sie nahm ihm den Stoffballen ab und prüfte die Wunde.
»Bringen wir es hinter uns. Verzeiht, wenn ich Euch zu nahe trete, Dominus, aber es muss sein.«
Sie nestelte die Bänder auf, die die Hose in seiner Taille hielten, und er erlaubte sich ein weiteres Grinsen.
»Scheint auch nicht die erste Hose zu sein, die du einem Mann ausziehst!«
»Nein, auch das nicht!«
Sie grinste zurück.
Sie war vorsichtig, aber trotzdem bereitete sie ihm Schmerzen, und das Lächeln auf seinem Gesicht erlosch. Als sie das zerrissene, blutige Kleidungsstück zur Seite gelegt hatte, betrachtete sie das Bein. Eine erschreckende, wulstige Narbe zog sich von der Hüfte bis zum Knie. Annik wurde klar, welche furchtbare Verletzung das gewesen war. Dagegen war die jetzige Pfeilwunde nahezu als gering zu betrachten. Was ihr ebenfalls bewusst wurde war, dass Valerius Corvus, der zweimal so ernsthaft verwundet worden war, die Hilflosigkeit kennen gelernt hatte, die Abhängigkeit von Helfern, das Fieber, die Schmerzen und die Unfähigkeit, den eigenen Körper beherrschen zu können. Einen so willensstarken Mann musste das hart angekommen sein. Seine ruhige Bereitwilligkeit, sich ihr anzuvertrauen, ließ sie vermuten, dass er in jener Zeit Demut gelernt hatte. Demütigung genauso, und die wollte sie ihm, so gut es ging, ersparen. Darum sprach sie mit so nüchterner Stimme wie möglich.
»Die Wunde ist tief, aber nicht sehr groß. Der Pfeil hat keine wichtige Ader
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