Der Siegelring - Roman
des Monats wird ein römischer Kurier mit einer Botschaft Caesars nach Colonia reisen. Du solltest dich an diesem Tag nicht unbedingt zum Patrouillendienst in den Wäldern melden.«
Annik gab sich erstaunter, als sie war, und fragte: »Sag mal, Cullen, woher weißt du etwas über römische Kuriere?«
»Die Bäume, Annik, flüstern!«
»Ich weiß nicht, Cullen. Ich denke, Menschen flüstern. Du machst mich langsam neugierig, warum du immer so gut informiert bist.«
»Ich habe ein Huhn geschlachtet und in seinen Eingeweiden gelesen, wenn du es ganz genau wissen willst.«
»Ah ja, natürlich. Und wer hat dir das Huhn gebracht?«
Cullen lachte vergnügt auf.
»Du bist nicht schlecht darin, die Methoden eines Barden zu durchschauen. Aber ich habe meinen geheimnisvollen Ruf zu wahren. Also forsche lieber nicht weiter.«
»Dann beantworte mir doch wenigstens die Frage, was den armen Römerkurier erwartet?«
»Ach nein, auch das soll eine Überraschung werden, Martius.«
Annik sah Cullen kopfschüttelnd an: »Ich habe dir schon einmal gesagt, dass ich es nicht gut finde, wenn ihr Streit mit den Römern anfangt. Gewalt zeugt Gewalt.«
»Ja, Annik, Gewalt zeugt Gewalt. Und wer hat begonnen?«
»Ihr weisen Götter! Das ist Generationen her. Warum nährt ihr den Hass so?«
»Generationen? Annik, es ist keine Generation her, dass die Römer meinen Vater getötet haben!«
»Oh, das wusste ich nicht.«
»Nein, ich erzähle es auch nicht jedem. Aber vielleicht solltest du es wissen. Sie haben ihn umgebracht, vorher haben sie ihn gefoltert und misshandelt. Und weißt du, warum? Er hat sich geweigert, ihren Göttern und Gottkaisern zu dienen. Er wollte bei seinem alten Glauben bleiben. So wie ich!«
Das Öllämpchen verlosch mit einem letzten Aufflackern, und so blieb Annik das verbitterte Gesicht in Erinnerung, mit dem der Barde sich umdrehte und lautlos im Wald verschwand.
»O Schande!«, sagte Martius leise.
»Ja. Sieh ihm seine Bemerkungen nach, Martius. Er ist noch sehr jung. Bringst du mich nach Hause? Es ist schon sehr spät, und es fängt an zu nieseln.«
»Ja, natürlich.«
Sie schwang sich hinter Martius auf das Pferd und dirigierte ihn zu der rückwärtigen Pforte. Sie verabschiedeten sich in Freundschaft voneinander, und Annik schloss sorgsam die Tür hinter sich.
Erst am nächsten Morgen bemerkte sie, dass sie ihren Korb am Matronenstein vergessen hatte. Es war ihr unangenehm, denn es konnte als Entweihung des heiligen Ortes gedeutet werden. Darum benutzte sie noch einmal den Schlüssel, um durch die Pforte in den Wald zu gehen.
Doch als sie vor der Mauer stand, stutzte sie. Die Hufspuren von der Nacht zuvor waren noch deutlich sichtbar im feuchten Lehm zu erkennen. Das Pferd hatte ein Hufeisen, das am Rand ein wenig ausgebrochen war.
»Darum also hast du so wenig Zeit, um mich zu besuchen, Martius!«, flüsterte Annik.
23. Kapitel
Überfall
Gratia nieste. Sie hatte eine rote Nase und verquollene Augen. Schnupfen, hatte Ursa festgestellt, und ihr geraten, im Haus zu bleiben. Aber das Mädchen war ihr entwischt und hatte sich bei Annik in der Werkstatt eingefunden.
»Schon gut, das ist keine so gefährliche Krankheit. Das geht in ein paar Tagen vorbei. Aber bleib im Warmen und überlass das Arbeiten mit dem feuchten Ton Ilan. Ich muss ein paar neue Lämpchen machen und brauche die Drehscheibe. Du kannst ja mal versuchen, ob du aus Ton eine Katze formen kannst.«
Feli kam bereitwillig zu Gratia und legte sich als vollendeter Kringel auf die alte Decke zu ihren Füßen. Die Figur, die Gratia nach einer Weile vorzuweisen hatte, verblüffte durch ihre Ähnlichkeit mit dem Modell.
»Das ist hübsch geworden, nicht wahr, Annik? Wirst du sie mir brennen?«
»Natürlich. Aber vielleicht willst du sie noch bemalen, wenn sie trocken ist.«
Kritisch beäugte Gratia die Form und schüttelte dann den Kopf.
»Nein, sie bleibt besser so. Kannst du auch Figuren herstellen?«
Annik schob die letzte Lampe zur Seite und lächelte.
»Ja, ein bisschen kann ich das auch.«
Sie nahm einen getrockneten Krug mit schlankem Hals, brach den Henkel ab, stellte ihn umgedreht auf die
Scheibe und begann, Ton um ihn herum aufzubauen. Schon nach kurzer Zeit war eine Zopffrisur zu erkennen, so wie Gratia sie an diesem Tag trug, dann formte sie Nase und Kinn, während das Mädchen fasziniert zuschaute. Das Gesicht wurde dem ihren immer ähnlicher.
»Nein, nicht!«, quietschte sie, als Annik zusätzlich etwas Ton auf die
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