Der Sieger von Sotschi: Ein olympischer Roman (German Edition)
auf den Rücken. Der Bursche landete in einer Pfütze und sein Stellmesser rutschte klirrend in einen Gully.
„Weiter, bevor mehr von denen kommen“, drängte Fabian auf Deutsch, während sich der Bursche aus der Pfütze hochrappelte und einer seiner beiden Kameraden bereits sein Handy am Ohr hatte. Keiner ließ sich extra bitten, als Stas wieder voraus eine Gasse entlang rannte. Vanessa konnte das schnelle Tempo mithalten – das war Richard in diesem Moment das Wichtigste. Florian kam einmal gefährlich ins Stolpern, da die Gassen und Bürgersteige nicht in optimalem Zustand und zudem schlecht beleuchtet waren. Kurz vor einer belebten Hauptstraße verlangsamte Stas das Tempo.
„Das ist die Putinskaya – verhalten wir uns wie eine Gruppe Touristen!“, empfahl er, als sie die Hauptstraße überquerten. Der Verkehr stand still, denn beim großen Kreisverkehr am Fluss ging es nicht mehr um den Unfall mit dem Paparazzo, sondern um die spontane Demonstration gegen Schwule. Stas führte sie in eine Seitenstraße, die als Wendeplatz mit etlichen Buden endete, die wohl wegen der Olympiatouristen noch alle geöffnet hatten. Das Gedränge bot Anonymität. Sowohl die Radikalen als auch die Paparazzi schienen Richard und seine Freunde zum Glück abgehängt zu haben.
„Unglaublich, wie die euch behandeln“, schimpfte Vanessa auf Deutsch und blickte dabei Justin an, während sie Richtung Fluss gingen. Den Blick zu Justin fand nun Richard doch etwas eigenartig, aber er konnte nicht weiter darüber nachdenken – zuerst mussten sie in Sicherheit gelangen! Der Bodyguard machte den Schluss und telefonierte im Gehen. Richard vermutete, er würde den Vorfall der britischen Botschaft melden. Sein Puls beruhigte sich allmählich wieder, als sie eine Fußgänger-Hängebrücke erreichten. Von hier aus würden sie geradeaus weiter zum Hauptbahnhof gelangen. Viele Leute standen auf der Brücke, um die zweihundert Meter flussabwärts laufende Demonstration und die Blaulichter der Polizei zu beobachten. Dann flog bereits die erste Tränengasgranate. Auf der Hängebrücke nahm niemand Notiz von Richard und seinen Begleitern, aber ganz entspannen würden sie sich erst wieder im Zug können. Sie gingen nun in zügigem, aber nicht auffälligem Tempo zum Hauptbahnhof. Während der olympischen Spiele würden von dort Züge direkt bis zum Mountain Cluster fahren. Beim Warten auf dem Bahnsteig blieb Richard Zeit, sich via Smartphone die britischen Schlagzeilen anzusehen. Auf einem Online-Portal war bereits zu lesen:
Zugbrücke hoch – Prinz wird von antiwestlichem Mob belagert!
Die Reporter fanden diesen Vorfall offenbar amüsant. Richard hatte diese Flucht überhaupt nicht als Ritterspiel oder dergleichen empfunden und hoffte nur, dass sich der religiös radikale Mob wieder beruhigt hatte. Zwei Dutzend Polizisten verteilten sich auf dem Bahnsteig und deren Chef wechselte einige Meter von Richard entfernt ein paar Worte mit James. Beim Bahnhofsgebäude versammelten sich nun mehr und mehr junge Männer, teilweise im Military-Look, die kaum nach Olympiatouristen aussahen, aber dank der Polizeipräsenz trauten sie sich nicht, zu ihnen auf den Bahnsteig herüberzukommen, bis auf einen korpulenten Mann mit Tarnhose, der mit einem Beamten zu diskutieren begann. Stas erklärte Richard, es handle sich um den Duma-Abgeordneten Josef Adolew. Er diskutierte mit dem Beamten darüber, warum die Miliz die „Pediki“ und die westlichen Agenten schütze, anstatt sie aus dem Land zu werfen. Pedik war ein weitverbreitetes Schimpfwort, die Kurzform von „Päderast“. Schwule und Kinderschänder waren für einen nicht unerheblichen Teil der russischen Gesellschaft eben dasselbe. Der Offizier erkläre dem Abgeordneten, dass der Präsident alle Demonstrationen außerhalb klar umgrenzter Zonen verboten habe und Kundgebungen gegen die traditionelle Familie würden sowieso nicht hingenommen. Wenn der olympische Zirkus vorbei sei, dann werde die Anti-Terror-Einheit der Sonderpolizei OMON schon wissen, wie man mit einem Pedik oder einem westlichen Agenten umzugehen habe.
Für Richard war es klar, dass mit dem Begriff „Agent“ wohl er gemeint war. Obwohl Vanessa tapfer erklärte, sie würde sich nicht einschüchtern lassen, fühlte sich Richard überhaupt nicht mehr gut. Einerseits schien die Miliz sich mit den Rechtsradikalen zu verbünden, andererseits hatte er die politische Brisanz komplett unterschätzt, da er als nicht Betroffener sich damit nie tiefer
Weitere Kostenlose Bücher