Der Sieger von Sotschi: Ein olympischer Roman (German Edition)
auseinandergesetzt hatte, besonders, was die Situation von Homosexuellen außerhalb des Vereinigten Königreichs anging. Das Gespräch, dessen Inhalt er auch ohne Übersetzung erahnen konnte, fühlte sich unheimlich nach Sowjetunion an.
Endlich fuhr der Doppelstock-Schnellzug nach Adler und Krasnaja Poljana ein. Der Zug leerte sich, denn hier würde er wenden, um wieder zurück nach Süden zu fahren. Besonders bei Richard wollte wegen der vielen Polizei kaum jemand einstiegen. Das nutzte die russische Miliz, um ein halbes oberes Stockwerk eines Wagens gleich ganz zu räumen, damit der Personenschutz besser gewährleistet werden konnte. Vier Polizisten stiegen ein und sprachen sich kurz mit dem Bodyguard ab. Richard fiel auf, dass Stas den Blickkontakt mit den Beamten vermied. Richard und dessen Begleiter verteilten sich auf zwei Abteile in der Mitte des abgesperrten Bereichs, James nahm eine Sitzreihe weiter Platz. Dann rollte der Schnellzug endlich an und Vanessa, die neben Richard saß, war die Erste, die die Sprache wiederfand. Ihr gegenüber saß Justin.
„Nur weil ihr Schwulen in einem Saal eure Lieder singt, machen die hier einen Volksaufstand? Unglaublich!“, empörte sie sich auf Deutsch und blickte dabei schon wieder Justin und nicht die drei anderen im Abteil gegenüber an. Richards Erziehung war für ihn wie eine Mauer, die ihn daran hinderte, nachzufragen. Da nun aber Fabian und Florian vom anderen Abteil aus wie auf Kommando Justin neugierig anschauten und Vanessa mit einem „na, komm jetzt, es wird allmählich lächerlich!“ nachlegte, meinte der Liechtensteiner: „Es ist eben wirklich nicht einfach, Vani. Richard, Vanessa ist in Wirklichkeit so etwas wie meine ältere Schwester – wenn ihr wollt, könnt ihr gerne Händchen halten, das geht mich nichts an.“ Dann blickte er halb entschuldigend, halb trotzig zu den anderen hinüber. „Florian, du hättest es mir ja auch nicht gesagt, wenn dich nicht Chalbermatter mit seiner Handykamera beim Schmusen mit Luchsi geknipst hätte. Ich habe auch Angst, dass die Sponsoren motzen und mich die Hälfte des Teams meidet. Conradin und Patrik wechseln mit Luchsi kaum ein Wort. Der Skirennsport findet eben nicht in der Zürcher Szene statt, sondern in Bergdörfern wie Elm.“
„Ja, ja, Justin! Dir ist aber schon klar, dass Stas hundertmal mutiger ist als du“, gab Vanessa spitz zurück, schien aber die Bemerkung dann doch zu bereuen. „Sprich doch mal in einer ruhigen Minute mit Saubauer“, schlug sie in sanfterem Tonfall vor und berührte mit ihrem Zeigefinger ganz vorsichtig und wie zufällig Richards Hand.
„Nicht mit Monti?“, fragte der Prinz.
„Ach was, das ist nur ein alt gewordener Skipisten-Papagallo! Saubauer gibt den Ton an!“
„Vani, wenn du Prinzessin werden willst, dann musst du echt ein paar Ausdrücke vermeiden lernen“, riet ihr Justin.
Richard traute sich nun, ihre Hand zu halten, und meinte: „Keine Sorge, Vanessa, das war nicht so schlimm.“
Richard war sich bewusst, dass es ungehörig war, sich zu freuen, wenn andere gerade in Schwierigkeiten steckten, aber trotzdem fühlte er sich auf einmal leicht, da es für ihn jetzt keinen Nebenbuhler mehr gab. Aber da waren noch immer diese elenden Paparazzi, die nach seiner Meinung seine Mutter ins Grab gebracht hatten. Durfte er Vanessa den Stress der Verfolgung durch die Boulevardpresse zumuten?
Sie hatten inzwischen den Bahnhof beim Olympiapark von Adler erreicht und viele internationale Touristen und Sportler stiegen ein; die Polizei hielt deshalb die Gefährdung der VIPs für beendet und verließ den Zug. Auf dem Bahnsteig konnte Richard auch einen Journalisten erkennen, doch der Reporter bemerkte sie nicht rechtzeitig vor der Abfahrt.
Er ertappte sich bei dem ebenfalls ungehörigen Wunsch, der Fotograf in Sotschi möge doch beim Zusammenstoß mit dem Taxi weit mehr als nur ein paar blaue Flecke und ein kaputtes Teleobjektiv abbekommen haben. Er wagte es, Vanessas Hand fester zu drücken.
Die ältere Generation seiner Familie würde bestimmt Mühe haben, seine neue Freundin zu akzeptieren, denn Vanessa hatte ja weder Adel noch einen Tropfen britisches Blut in ihren Adern. Besonders seine Großmutter, aber auch sein Vater legten schon Wert auf ein gewisses britisches High-Society-Flair wie Reiten, Jagd und Tea Time. Wenigstens das hatte Kate Middleton ja mitgebracht. Wegen Vanessa würde es wohl bald Krisensitzungen in London geben – abgehalten von Leuten, die
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