Der Sieger von Sotschi: Ein olympischer Roman (German Edition)
kündigte Fabian das nächste Lied an, das nun auch Richard schon nach wenigen Takten erkannte.
„Deine Chance, Stas!“, rief der Wirt und warf ihm ein zweites Mikrofon zu. „Er ist Beatles-Imitator.“
Fabian begann das Lied noch einmal. Stas schüttelte seine Haare nach vorn und schob seine runde Brille zurecht und Florian machte ihm den Stuhl neben Fabian frei. Der Russe war gar nicht schlecht, fand Richard, auch wenn es bei einer Casting-Show wohl nicht bis ganz nach vorne gereicht hätte – aber gut genug, um hier etwas 68er-Stimmung herzuzaubern bei
All You Need Is Love
und
Imagine
.
„Damals, als die Lieder entstanden, wurde man noch zusammengeschlagen, wenn man die Regenbogenfahne zeigte“, wusste Florian.
„Nur damals?“, lachte einer bitter-ironisch im Publikum.
Danach spielte Fabian ein paar Akkorde eines neuen Songs.
„Wer kennt es? – Hand nach oben!“
Keiner im Publikum wusste etwas. Richard bemerkte, dass Justin die Hand spontan gehoben hatte, sie dann aber wieder herunternahm, da Fabian bereits zu Florian blickte.
„Ich kenne es“, meldete sich der blonde Schwarzwälder. „Es heißt:
Standing in the Way of Control.”
„Du bist ja ein echter Aktivist!“, lachte Fabian.
„Leider habe ich kein Song von Pussy Riot drauf“, entschuldigte sich Fabian.
„Das Lied ist ja schon vom Titel her sehr aktuell und wurde von der Disco- und Rockband The Gossip gegen George W. Bush geschrieben. Double You hatte damals die gleichgeschlechtliche Ehe auf Bundesebene verbieten lassen wollen“, erklärte Florian.
Fabian begann wieder den Song zu spielen. Florian hatte eine leicht belegte, noch jugendlich klingende Stimme, die aber gut zu diesem Protestsong passte.
„
Standing in the way of control; You live your life; Survive the only way that you know.
”
Während Florian die Rolle der Leadsängerin Beth Ditto übernahm, fragte sich Richard, ob sich seine Mutter vielleicht auch deshalb von den Royals entfremdet hatte, weil sie Schwule wie Elton James als vollwertige Menschen ansah.
Bei der letzten Strophe stolperte Florian im Text. Trotzdem wurde kräftig applaudiert.
„Es ist eine schlechte Zeit für die Bürgerrechte, aber ich denke, die einzige Möglichkeit zu überleben, ist, zusammenzuhalten und weiterzukämpfen. Das sagte Beth Ditto als Erklärung zum Song“, ergänzte Fabian. Beim Blick zu Vanessa bemerkte Richard, dass auf ihrer anderen Seite Justin feuchte Augen bekommen hatte. Plötzlich rannte einer ans Fenster und nun konnten alle deutlich eine Menge hören, die draußen „
Gays go home!
“, skandierte.
„Die Popen mit Adolews Schlägern sind da unten!“, warnte der junge Mann am Fenster, der erschrocken hinausblickte.
„Die Gagarina gehört aber nicht zu Putins Sonderzone für Demonstrationen“, meinte einer auf Englisch.
„Wo ist eigentlich diese Zone? In Putins Gefängnishof?“, fragte sich eine Zweite bitter ironisch.
„Adolews Leute können problemlos an all den Kontrollposten vorbei in das streng bewachte Sotschi einreisen, Friedensaktivisten ohne Wohnsitz hier in der Stadt werden aber von der Miliz abgewiesen“, ärgerte sich ein Dritter.
„Gitarre!“, verlangte der Wirt von Fabian, versteckte sie und schwatze kurz, aber aufgeregt auf Russisch mit Stas. James trat näher.
„Ich bring euch alle hinten raus!“, entschied Stas. „Sie auch, James – jetzt gleich! Medaillen unter die Jacken!“ Stas verstärkte seine Stimme bei den letzten Worten, da alle – auch Richard – noch ungläubig auf ihren Barhockern saßen. Ein Stein, der durch die Scheibe flog, mahnte nun ebenfalls zur Eile. Richard nahm Vanessa am Arm – ihm war jetzt egal, was Justin davon halten mochte – und folgte als Erster Stas hinter die Bar, durch die Küche und aus dem Hinterausgang. Die anderen kamen eilig hinterher. Ganz genau konnte Richard nicht erkennen, wie ihr russischer Guide den Weg durch die Hinterhöfe bis zu einem schmalen Durchgang auf eine Gasse fand, wo er allerdings erschrocken zurückwich.
„Typen mit Messern!“, schrie er.
James stapfte entschlossen nach vorn.
„VIP-Security! Gibt es ein Problem?“, donnerte der kräftige, durchtrainierte Bodyguard, der die drei noch nicht ganz erwachsenen Burschen um einen Kopf überragte. Der im Vergleich zu James noch ein wenig größere Fabian ging ebenfalls nach vorn. Richard bekam im Halbdunkeln nicht ganz mit, was passierte, aber es wurde „Schwuchtel“ gerufen und kurz darauf warf Fabian einen der Kerle
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