Der Sieger von Sotschi: Ein olympischer Roman (German Edition)
beobachteten die Menge. Zu aller Schmach wurde auf der Siegertreppe nun nur der Prinz interviewt, während auch Bend auf dem Rückweg zum offiziellen Foto der Medaillengewinner ebenfalls von Reportern belagert wurde. Nur ihn schien die internationale Presse zu ignorieren. Doch jetzt hielt ihm wenigstens ein russischer Sender ein Mikrofon hin und Koslow versuchte seine Serie von Silbermedaillen als großen Erfolg des russischen Skisports zu verkaufen. Aber Koslow hatte ja noch ein Ass im Ärmel, doch davon erzählte er natürlich nichts vor laufender Kamera. Der ARD-Mann in seiner typischen blauen Skijacke fragte Bend zu Koslows Linken auf der Siegertreppe, was er von den Schneeballwürfen hielte. Schnell streckten weitere Reporter ihre Mikrofone hin. Justin meinte, nach der Pressekonferenz neulich dürfe er sich nur noch zu sportlichen und nicht mehr zu unsportlichen Dingen äußern. Auch der Russe entschied sich dafür, keinen Kommentar abzugeben, und Richard verwies auf eine in Kürze folgende offizielle Stellungnahme des Teams, die auch mit Earl Corby abgestimmt werden müsse. Eine überschwängliche Siegesfreude kam auf dem Podest nicht auf. Verständlicherweise, denn selbst Koslow hielt es für nicht ausgeschlossen, dass dieses ganze Rennen wegen der Schneeballwürfe annulliert werden könnte. Auf der Tribüne verließen bereits die Leute den Zielraum. Nicht alle schienen Lust zu haben, der Blumenzeremonie und dem Hissen der Fahnen der drei erfolgreichen Nationen beizuwohnen.
Der kleine glatzköpfige DCO Jagedo aus Guyana bat danach die zum gegenwärtigen Zeitpunkt als Medaillengewinner geltenden Athleten in den Rot-Kreuz-Container. Unter der Tribüne warteten bereits sein Trainer und dessen Berufskollege Saubauer. Der Fernsehjournalist Garchinger lauerte wenige Schritte davon entfernt. Der Österreicher gratulierte allen drei, mahnte seine beiden Schützlinge dazu, nichts zu sagen, bis die Rechtsabteilung von Swiss-Ski ein offizielles Statement zu der Sache mit den Schneebällen ausgearbeitet hätte. Koslows Trainer ließ es mit einem schweigsamen Händedruck bewenden. Eine Ärztin näherte sich vom Hinterausgang der Tribünen den Containern und stellte sich als Dr. O’Brien aus Irland vor, sie werde die Dopingkontrolle überwachen. Koslow war nicht wenig überrascht über die Anwesenheit der Ärztin, man hatte ihm gesagt, Jagedo würde zusammen mit einem Assistenten die Kontrolle leiten. Der Guyaner scannte schweigend die Ausweise der Athleten und überreichte ihnen die
Show-up
-Quittung.
Auf einem Tisch gleich rechts hinter dem Eingang standen wie abgemacht fünf versiegelte Verpackungen mit den Utensilien, die für die Urinabnahme und die Aufteilung in A- und B-Probe notwendig waren; die Kartonvariante. Vier in Plastikfolie eingeschweißte Schachteln hatte man gestapelt und eine stand daneben. Normalerweise befanden sich die Utensilien in Styroporboxen, doch die ökologischere Variante mit Karton war auch zugelassen.
„Ich wähle dieses Set“, entschied sich Koslow für die einzeln stehende Schachtel. Dadurch sahen sich Bend und der Prinz aufgefordert, je eine vom Viererstapel zu nehmen.
„Woher kommen diese Schachteln?“, fragte die Ärztin. „Und warum ist auf einmal die Karton- und nicht die Styroporvariante im Umlauf?“
„Umweltschutz! Das Styropor wurde in der Presse angeprangert, Ma’am.“
„Und Sie lassen die Schachteln einfach hier rumstehen?“
„Wurden eben angeliefert Ma’am“, erklärte Jagedo.
Koslow setzte sich. Bend ließ einen Sicherheitsabstand von einem Platz zwischen ihnen, legte seine Schachtel auf einen freien Stuhl und begann auf seinem Smartphone eine Nachricht zu tippen, sodass für Richard nur noch die Möglichkeit blieb, sich zwischen Koslow und Bend zu setzen. Koslow fühlte sich so angespannt wie vor einem Start. Warum begann die Kontrolle nicht und was wollte die Ärztin noch auf ihrem Laptop nachsehen? Jetzt scannte sie sogar eine Seriennummer der auf dem Tisch verbliebenen Schachteln ein.
„David, können Sie mir Ihre Box zeigen?“, fragte der Prinz auf Deutsch.
Koslow zuckte zusammen, als hätte ihn ein Peitschenhieb getroffen. „Ich sehe dazu keine Notwenigkeit“, versuchte er den neugierigen Briten abzublocken. Auch Bend wurde nun aufmerksam und hörte auf zu tippen. „Justin, schalte bitte dein Phone auf
record
. David, ich muss leider unhöflich sein und bestehe darauf!“ Dabei griff der Prinz nach der Schachtel, die Koslow noch in den Händen
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