Der Sieger von Sotschi: Ein olympischer Roman (German Edition)
vielen Stunden Trainingsfolter auszahlen? Jetzt musste es einfach Gold für Russland geben! Alle orthodoxen Priester des Landes würden in diesem Moment dafür beten, das hatte man ihm versichert. Die Piste war unruhig und eine hohe Wolkenschicht versteckte die durch die 29 Läufer vor ihm in den Schnee gezogenen Rillen, da brauchte er alle Konzentration, besonders, wenn er an ein Tor jeweils gefährlich andriftete, aber dadurch schnell blieb. Ein donnernder Jubelschrei ging durch das Tal, als er die erste Zwischenzeitlinie passierte. Der Jubel bedeutete, er lag vorne. Das musste einfach die Fahrt seines Lebens sein, denn fahrerisch schien alles zu passen. Die Piste war eisig, der Rhythmus wechselte oft, da machte sich seine Ortskenntnis bezahlt. Sogar mit Gras-Ski hatte er hier im Sommer trainiert. Er riskierte einen fast abfahrtsmäßigen Sprung über die schwierige Kante in den Zielhang, um die heimtückische Eisplatte dahinter zu meiden. Da war auch die zweite Zwischenzeit, die wieder mit Jubel quittiert wurde, nicht so kräftig wie beim ersten Mal. Lag er etwa hinten? Er wollte noch besser fahren und wurde dabei gefährlich unkontrollierbar schnell. Das nächste Tor wurde dadurch verdammt eng, aber er wollte keinesfalls den Lauf verbremsen. Eine Torstange knallte ihm seitlich an die Schulter und riss ihm den Armschutz weg. Egal, Hauptsache der Ski glitt regulär am Tor vorbei. Hocke und über die Linie. Schweizer Treicheln bimmelten, Applaus und Pfiffe mischten sich im Zielraum. Das war nicht gut!
Rot! Seine Zeit blinkte rot! Rang zwei, plus neun Hundertstel. Es war, als hätte ihm einer mit der Faust mit voller Wucht in die Weichteile geschlagen. Dieser nicht einmal ganz erwachsene Liechtensteiner lag vorne! Er selbst hatte wieder nur Silber gewonnen! Jetzt konnten ihm nur noch seine zweifelhaften Freunde zu Gold verhelfen! Seine Beine brannten, die Schulter schmerzte, die eiskalte Luft, die er fast hyperventilierend einsog, stach in den Lungen. Doch das war nun nebensächlich. Handkameras eilten ihm nach, als er zur Siegertreppe fuhr.
„Du lässt dich von einem rotznasigen Schlappschwanz schlagen. Du Trottel!“, rief ihm ein wütender Landsmann zu. Der spielte wohl darauf an, dass Bend sich die Freundin hatte ausspannen lassen. Der Idiot da auf der Tribüne sollte selbst mal seine Geliebte gegen einen britischen Prinzen halten, begann es in Koslow zu kochen. Außerdem würden sie durch ihr zu offensichtliches Mobben und die Schneeballwürfe gegen die beiden schwulen Mitfavoriten den Wert seiner Medaillen herabsetzen.
Klassement Riesenslalom –
Olympische Winterspiele Russland
1
Justin Bend
LIE
02:36.76
2
David Koslow
RUS
02:36.85
3
Richard Wales
GBR
02:37.18
4
Jörg Pesenbauer
AUT
02:37.40
5
Damien Vincent
SUI
02:38.50
6
Hansi Vorderseher
GER
02:38.75
7
Patrik Moser
SUI
02:38.79
7
Frank Freisinn
GER
02:38.79
9
Phil Read
CAN
02:38.88
10
Conradin Caratsch
SUI
02:39.09
11
Anton Pöschl
AUT
02:39.35
12
Gustav Geisler
AUT
02:39.39
13
Sam Kent
USA
02:39.70
14
Florian Häusle
GER
02:39.72
15
Nils Gjøsteen
NOR
02:39.73
16
Yuko Takamoto
JPN
02:39.90
17
Vasko Šoltes
SLO
02:40.01
18
Gustav Hauser
ITA
02:40.13
19
Dan Fraser
CAN
02:40.21
20
Gregory Funtow
RUS
02:40.59
Was erwarteten diejenigen, die ihn jetzt auspfiffen? Was hatten diese Spatzenhirne für Vorstellungen, wie es im alpinen Rennsport zuging? Was die Deutschen, Österreicher und Schweizer für Material und Infrastruktur zur Verfügung hatten? Koslow musste seine Wut zügeln. Er wollte keinesfalls durch ein unbedachtes Wort oder einen gestreckten Mittelfinger eine Disqualifikation riskieren. Pesenbauer war vom Tribunal für den Ausdruck „Bachener“ zu zweitausend Euro Geldstrafe verurteilt worden. Die nächsten, die sich daneben benehmen würden, mussten mit Sperren rechnen, war aus Lausanne gedroht worden. Dort am Genfersee würden die Nerven blank liegen, vermutete Koslow.
Am Podest fiel der Händedruck mit dem Sieger Bend und dem drittplatzierten Prinzen frostig aus. Ersterer fuhr nach der Gratulation zur liechtensteinisch-schweizerischen Fan-Ecke hinüber, die Handkameras der Fernsehteams folgten ihm. Bei seinen Fans war die Hölle los vor Freude. Bend warf euphorisch seine Handschuhe in die Menge, während auf den einheimischen Rängen manche in kleinen Gruppen diskutierten. Andere blickten von dort finster zu Koslow hinab. Beamte der Miliz standen an den Absperrungen entlang – immer in zwei Schritten Abstand von Mann zu Mann – und
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