Der Sieger von Sotschi: Ein olympischer Roman (German Edition)
waren. Justin entschloss sich, das Frühstück in die Ernährungs-App einzutragen, auch um nicht in eine peinliche Diskussion über die Fotos und Baby-Rülpser verwickelt zu werden.
„Mit einem Gruß von Uli Hoeneß!“ Hans Rüdiger reichte Monti und Saubauer je eine Broschüre mit Fußballerbeinen und einem grünen Rasen drauf:
Fußball und Homosexualität – Eine Informationsbroschüre des DFB
.
Monti zeigte die Broschüre Fabian, Florian und Justin. „Ihr kennt das?“, fragte er. „Seht ihr, großer Fußballpräsident Hoeneß hat nichts gegen Schwule. Auch in unserm Team keiner was hat gegen euch! Weißt du, der berühmte Nationalspieler Thomas Hitzlsperger hat sich geoutet im Januar!“
„Sicher ist der Hitzlsperger ein Vorbild für Fabian, aber i hab schon Besseres g’sehen als das Hefterl. Wir reden drüber, wenn wir alle g’sund und sicher zu haus’ sind!“, meinte Saubauer wenig begeistert dazu.
„Florian, soll Hoeneß dir ein Gespräch mit dem schwulen Nationalspieler vermitteln?“, bot der deutsche Trainer Hans-Rüdiger an.
„Danke, aber er redet schon mit deinem Florian über nix anderes als Schwulenrechte!“, blockte Saubauer ab.
Justin fühlte sich durch den in der Öffentlichkeit geführten lauten Vortrag Montis um die DFB-Broschüre bedrängt. Er war ja eigentlich nur in einem sehr kleinen Kreis geoutet und der Teamchef hatte den Leitfaden auch ihm unter die Nase gehalten. Wer von den anderen Sportlern hingesehen hatte, wusste jetzt wohl Bescheid über seine sexuelle Orientierung.
Ein sehr sonnengebräunter Mann, der Präsident des österreichischen Skiverbandes, saß Rücken an Rücken mit Saubauer. Er hatte das Gespräch offenbar mitbekommen und drehte sich mit finsterer Miene um.
„Sportler sollen über den Sport reden. Von einem österreichischen Athleten würde ich so ein Theater nicht akzeptieren. Luchsiger und Häusle können ja nach ihrer Karriere in die Politik gehen, um für Schwulenrechte zu streiten. Aber mir ist es lieber, es wird für Familien geworben als für Homosexualität. Da bin ich teilweise auf Putins Seite.“
Monti erhielt eine Nachricht auf sein Telefon und deshalb blieb zu Justins Erleichterung allen ein Streitgespräch mit dem österreichischen Funktionär erspart.
„Am Slalom vom Samstag wird nur Publikum zugelassen im Zielraum, sonst nirgends“, fasste Justins Teamchef zusammen. „Das wurde eben entschieden als Reaktion auf die Attacke mit den Schneebällen.“
„Florian, das ist doch mal eine gute Entscheidung!“, meinte Fabian und sein Freund stimmte mit einem Nicken zu.
Bald wurde es Zeit, sich fürs Slalomtraining bereit zu machen. Das würde wenigstens Ablenkung von den düsteren Gedanken um die Pläne des Emirs bringen und mit etwas Glück würden sie alle am Sonntag sicher an der Schlussfeier teilnehmen.
Justin erlebte am Sonntag, dem letzten Tag der olympischen Spiele, den bisher nervenaufreibendsten Tag seines Lebens, denn am Samstag hatte kein Herrenslalom stattgefunden. Nur ein Drittel der Helfer sei auf der Slalompiste erschienen, um den halben Meter Neuschnee der Nacht wegzuräumen, wurde den Athleten schon während des Frühstücks am Sonntagmorgen mitgeteilt. Der Slalom war bereits am Samstagmorgen mit der Begründung, wegen des vielen Schnees zu wenig Helfer zu haben, auf den allerletzten Wettkampftag verschoben worden. Doch nun setzten die Helfer noch eins drauf: Das verbliebene Drittel hatte sich entschlossen, gegen den Ausschluss des Publikums am Pistenrand mit einem Bummelstreik zu protestieren, weitere folgten dem Boykottaufruf des homophoben Schauspielers Ochlobystin. Das IOC hatte diesen Ausschluss als Reaktion auf die Schneeballwürfe beim Riesenslalom verfügt. Justin und seine Kollegen mussten wartend zusehen, wie die Athleten der anderen Sportarten sich zum Bahnhof fahren ließen. Ein paarmal überlegte er sich, einfach seinen Rucksack zu packen und sich den Snowboardern anzuschließen. Am Abend zuvor hatte der Bundesrat ein Geheimgespräch mit Fabian, Richard und James geführt, zu dessen Inhalt Fabian nur gemeint hatte: „Militärkram wegen dem Munitionslager auf dem Lastwagen“. Der Bundesrat verzichtete darauf, sich den Slalom anzusehen, und fuhr mit einem Zug zurück zum Coastal Cluster. Hubschrauber konnten beim nach wie vor starken Schneefall und teils böigem Wind nicht fliegen.
Das olympische Dorf auf dem Rosa Plateau wurde nach einem Abreiseplan geleert, um alle nach Adler zur Schlussfeier zu bringen.
Weitere Kostenlose Bücher