Der Sieger von Sotschi: Ein olympischer Roman (German Edition)
Rücken eine SMS an Florian:
Wir wurden beim Schmusen fotografiert. Die Zeitung Blitz hat das Bild heute gedruckt.
Er überlegte einen Moment, ob er etwas anfügen sollte, beispielsweise, dass Justin kein Problem mit dem Kuss hatte und ob er seinem deutschen Kumpel von Justins Outing erzählen durfte. Immerhin hatte er ja versprochen, es für sich zu behalten. So oder so hätte er für eine solch ausführliche Nachricht eine E-Mail anstatt einer SMS tippen müssen. Außerdem schloss vorne die Ehrenbürgermeisterin ihre Ansprache mit Erfolgswünschen für alle. Also sendete er die Kurznachricht an seinen Schwarzwälder Ski-Kumpel unverändert.
Es wurde für Issinbajewa applaudiert. Fabian hatte nicht zugehört, da die Frau nach seiner Meinung schon vergangenen Sommer mehr als genug gesagt hatte, als sie die Protestaktion mit den in den Regenbogenfarben lackierten Fingernägeln als „Angriff auf die russische Kultur“ kritisiert hatte. Ein Chef der Helfer erwähnte über Mikrofon, die Teams jeden Landes und jeder Sportart würden nun von je einem Guide übernommen. Trainer Saubauer winkte bereits, er und Justin sollten sich beeilen. Die Gruppe versammelte sich bei einem Studenten mit etlichen blondierten Strähnen in den Haaren, der eine weiße Jacke mit violetten Ärmeln trug, die mit
sochi.ru volunteer
bedruckt war. Mit solchen Jacken hatte man offenbar alle Helfer der olympischen Spiele ausgestattet, wie Fabian mit einem Blick zu anderen Teams erkannte. Der im Vergleich zu ihm um einen Kopf kleinere Student hielt ein Schild
SUI + LIE + GBR Alpine Men
hoch und stellte es dann hinter einen Heizkörper, als ihm Monti bestätigten konnte, dass alle da seien, da Richard eben mit Gepäck und einem „Sorry“ keuchend zur Gruppe gestoßen war. Sein Linienflug habe über dem Schwarzen Meer kreisen müssen, wegen der vielen Charterflüge. Saubauer zählte aber zur Sicherheit nochmals seine Schar durch. Dann durfte sich der Student nun auf Englisch als Stas Dschochar Kadyrow vorstellen, man dürfe ihn aber schlicht Stas nennen. Er habe ja bereits den Lastwagen hierher begleitet. Persönlich stamme er aus dem Kaukasus, habe in Moskau Wirtschaft studiert und sich nach dem Studium in Sotschi als Volontär der olympischen Spiele gemeldet und sei nun für die nächsten knapp drei Wochen der Kontaktmann des Schweizer Teams in allen organisatorischen, administrativen und touristischen Fragen. Richard behauptete flüsternd zu Fabian, den Namen Kadyrow schon einmal gehört zu haben, erinnerte sich aber nicht mehr genauer.
Fabian und Justin hatten im vergangenen März am Europacup-Finale in Sotschi teilgenommen. Schon bei jenem Rennanlass war Stas ihr Guide gewesen und damals hatte er noch keine blondierten Haarsträhnen getragen. Die Frisur würde auf eine interessante Entwicklung im Charakter schließen lassen, im Gegensatz zu den auf Muttersöhnchen und Vorbildtochter frisierten übrigen Helfern im selben Alter, fand Fabian, als sie nun Stas in Richtung des Flughafenbahnhofs folgten. Die Athleten der Hallensportarten wurden zu Bussen auf der Vorfahrt geführt, da sie zum nur fünf Kilometer weiter südlich gelegenen Coastal Cluster fahren mussten.
Von der Brücke aus, die vom Flughafengebäude eine Straße zum Kopf des zweigleisigen Bahnhofs führte, konnte er auf dem Rasen tatsächlich eine Palme entdecken. In der Ferne gegen Osten lag jedoch Schnee im Gebirge. Die Sonne stand entgegen Fabians Zeitempfinden schon ordentlich tief im Westen und tatsächlich zeigten die Uhren des Kopfbahnhofs bereits kurz vor fünf Uhr am Nachmittag. Im zweigleisigen Bahnhof stand ein roter Triebwagenzug nach Sotschi bereit und ein weißer mit einem blauen Eiskristallmuster für Delegationsmitglieder reservierten Wagen nach Krasnaja Poljana. Die Anzeigetafeln vermerkten das Ziel des jeweiligen Zuges auch in lateinischer Schrift.
Er konnte diese erwartungsvolle, nervöse, aber auch stolze Stimmung bei den Helfern und den auf dem Bahnsteig verteilten Sicherheitskräften spüren; mit dem Eintreffen der ersten Athleten ging es nun nach jahrelanger Vorbereitungszeit und sehr vielen Milliarden Euro Investitionen endlich los. Vor zwei Jahren, als auf der künftigen Olympiapiste ein Weltcup-Rennen gefahren wurde, seien sie noch mit Bussen in die Berge gefahren worden, erinnerte sich Jonny. Es sei von hier bis Rosa Khutor alles eine einzige gigantische Baustelle gewesen. Im März habe die Eisenbahn schon funktioniert, allerdings sei auch da noch alle
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