Der Sieger von Sotschi: Ein olympischer Roman (German Edition)
ich feige, aber als Neunzehnjähriger fühle ich mich nicht stark genug, neben der Belastung durch die Rennen auch noch der Vorzeigeschwule im Skisport zu sein. Kannst du es deshalb gegenüber den Leuten im Rennsport für dich behalten, auch vor Florian, bis wir wieder aus Russland raus sind?“
Fabian fand die letzte Einschränkung seltsam. „Florian würde bestimmt nicht tratschen, aber du entscheidest, wer es wissen darf. Ich sage niemandem was“, versprach er trotzdem.
„Wir können nach den Spielen mit Florian in den Ausgang. Dann werde ich es vor ihm nicht mehr verheimlichen. Aber in den knapp drei Wochen, die vor uns liegen, möchte ich mich voll auf den Sport konzentrieren. Coming-out-Interviews würden nur ablenken.“
„Die Chance habe ich nicht mehr“, seufzte Fabian.
„Denk dran, die Ethik von Swiss Olympic verbietet jede Diskriminierung und selbst der IOC-Präsident Thomas Bach persönlich soll betont haben, jeder Athlet sei willkommen, also auch du. Daran kommt Mayerhofer nicht vorbei.“
„Alle Schwulen werden gemobbt!“ Nach wie vor fühlte sich Fabian nicht gut, aber immerhin war seine schlimmste Befürchtung, in Sotschi nur von Feinden umgeben zu sein, nicht wahr geworden.
„Im Wiederholungskurs nächsten Mai werden sie mir, dem neuen Leutnant, einen Schokostängel ins Patronenlager des Sturmgewehrs drücken“, fürchtete Fabian. „Hast du eine Ahnung, wie man das dann wieder sauber kriegt?“
„Ich als Liechtensteiner werde nicht das zweifelhafte Vergnügen eines Grundwehrdienstes haben. Hör zu, Luchsi! Jeder ist einmal neu in seiner Reserveeinheit. Außerdem hast du als Offizier nur eine Pistole und kein Sturmgewehr mehr, das weiß sogar ich. Warum bist du Leutnant geworden, wenn du dich vor dem Wiederholungskurs fürchtest? Als Offizier soll man doch eine positive Einstellung dazu haben.“
„Oberst Mayerhofer hat gesagt, wenn ich aspiriere, dann dürfe ich in die Nationalmannschaft. Ich hätte alles getan, um im Weltcup dabei sein zu dürfen, sogar in die Offiziersschule gehen.“
„Fabian, vor einem Monat outete sich der deutsche Nationalspieler Thomas Hitzlsperger. Wir sind nicht die einzigen Schwulen im Spitzensport. Also krieg dich wieder ein.“
Fabian verkniff sich die Rückfrage an Justin, warum der sich nicht oute, wenn die Welt doch so tolerant sei. Hitzlsperger war erst nach dem Ende seiner Karriere mit seiner Homosexualität an die Öffentlichkeit getreten. Im Interview hatte der Profifußballer erwähnt, es gäbe viele Spieler mit Angst vor einem Outing. Im Skisport war Fabian bis heute einer der angsterfüllten Sportler gewesen und Justin gehörte ja noch dazu, denn so gut schien der Neunzehnjährige noch nicht mit seiner eigenen Sexualität klarzukommen, wie er jetzt glauben machen wollte. Doch das war im Moment nebensächlich für Fabian. Sein Ski-Kumpel hielt zu ihm, das zählte.
Die Stewardess fragte ihn, wie er sich fühle, reichte ihm einen Tee und meinte, die ganze Besatzung bewundere den Sieger des Hahnenkammrennens und sei überzeugt, er werde auf dem Rückflug in der Businessklasse Platz nehmen dürfen. Fabian beruhigte sich allmählich wieder. Aber er dachte auch an die niederträchtigen homophoben Stammtischkommentare der Leser des
Blitz
-Online, die leider unter Meldungen über Schwule und ihre Rechte oft zu finden waren. Davon würde es jetzt bestimmt jede Menge zu lesen geben, befürchtete er. Justin wollte ihm das Versprechen abnehmen, keinesfalls bei
Blitz
-Online nachschauen zu gehen. Er sollte die dort postenden Dummköpfe mit Nichtbeachtung strafen.
„Gut, versprochen! Hoffentlich liest Florian die Online-Leserkommentare im
Blitz
nicht“, sagte er laut.
„Du könntest unsere Teampsychologin Heidi bitten, sie soll mit deinen Eltern reden“, schlug Justin vor.
„Das ist nicht nötig – da bin ich schon vor sechs Jahren rausgeflogen. Ich wollte Spitzensport machen, E-Gitarre spielen, Röhrenjeans mit Nietengurt tragen, unanständige Musik hören, lange Haare haben und so Kram. Besonders meine spießige Mutter und ich stritten uns nur noch. Als es ganz schlimm wurde, bot Klaus an, ich solle bei ihm Ferien machen, damit sich alle wieder beruhigen können. Er ist ja mein Onkel. Aus den Ferien wurde ein Dauerzustand und ich wohne seither bei ihm und seiner Familie. Die haben zum Glück kein Problem mit einem schwulen Neffen.“
„Ja, Klaus ist ein prima Typ. He, wir beiden Kindsköpfe fliegen zu den Spielen – freu dich, du Matthew
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