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Der Silberbaron

Der Silberbaron

Titel: Der Silberbaron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Brendan
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einer schier unüberwindlichen Faszination, sah Emma noch einmal hinaus, suchte den schattenhaften Umriss des großen, kräftigen Mannes und der Frau, die zwischen ihn und die Ziegelmauer des Stalles gedrückt war. Gleich darauf wandte sie sich heftig ab. Ihr Gesicht brannte vor Abscheu vor sich selbst, und sie kroch ins Bett zurück.
    Sie drehte sich auf die Seite und starrte auf den vollen Mond, der gerade hinter einer Wolke hervorkam. Sie dachte an Matthew und lächelte sehnsüchtig, als sie sich fragte, wie er auf ihre unerwartete Ankunft reagieren würde; schließlich hatten sie sich seit zwei Jahren nicht mehr gesehen, und sie hatte immer noch keine Antwort auf den Brief bekommen, den sie ihm vor etwa einem halben Jahr geschrieben hatte.
    Vielleicht war er gar nicht angekommen … “Lieber Gott, bitte mach, dass er nicht weggezogen ist”, flüsterte sie dem silbernen Herbstmond am Nachthimmel zu. Zweifel und Schuldgefühle durchströmten sie, als sie an ihre Eltern dachte. Ob sie sich wohl Sorgen machten? Zornig waren? Tat es ihnen leid? Sie hätte einen richtigen Brief zurücklassen sollen, nicht nur ein paar Zeilen, in denen sie sie bat, sich keine Sorgen zu machen – und auch nicht zu versuchen, sie zu finden.
    Rastlos wälzte sie sich auf dem harten Lager, sah finster zu den Schatten an der Decke empor, während sie über unerwiderte Liebe nachgrübelte, über einen Mann, der sein Herz mit seiner ersten Frau zu Grabe getragen hatte, und ob sie Stiefkinder wohl je lieb gewinnen könnte.
    “Hoffentlich hatten Se keinen Ärger nich’ mit die Wanzen”, sagte der junge Mann. “Hab schon Leute gesehn, wo die ganzen Beine geschwollen waren und knallrot wegen dem elendigen Kriechzeug …”
    “Nein, ich fühle mich recht wohl, vielen Dank. Nur ein bisschen müde bin ich”, antwortete Emma auf die Nachfrage, ob sie gut geschlafen habe. “Bei Ihnen ist heute anscheinend viel Betrieb.” Mit einem Blick wies sie auf das geschäftige Treiben im Hof.
    Der junge Schankbursche senkte verschwörerisch den Kopf und verriet: “Spät gestern Abend sind noch ‘n paar feine Pinkel mit ‘nem seltsamen Namen aufgetaucht. Der Gentleman, hab ich gehört, fährt mit seiner Familie in aller Früh weiter nach Bath.” Nachdem er Emmas Teller und Tasse säuberlich aufeinandergestapelt hatte, marschierte er davon, wobei er einem Mädchen, das Krüge ausspülte, einen anzüglichen Blick zuwarf. Erst da erkannte die errötende Emma, dass es sich bei den beiden um das Liebespaar handelte, das sie durch ihr Fenster gesehen hatte.
    Als die Sonne morgens golden am Horizont erschienen war, hatte sie jede Hoffnung auf Schlaf aufgegeben und sich die Treppe hinunter in einen kleinen Schankraum begeben. Die heitere Wirtin hatte ihr Tee und Gebäck serviert und jede Bezahlung dafür zurückgewiesen. Stattdessen hatte sie Emmas Hand auf eine so verständnisvolle, mitfühlende Weise getätschelt, dass diese ihre Einwände hinuntergeschluckt und die Münzen wieder eingesteckt hatte. Sie hatte das köstliche Frühstück genossen, dabei durch die schmutzigen Fenster auf die fremde, sonnenbetupfte Landschaft draußen geblickt und über die ungewöhnliche Großzügigkeit der Wirtin nachgedacht. War ihre missliche Lage denn so offensichtlich? Hatte ihr Auftreten irgendetwas an sich, das in ihr sogleich die mittellose allein stehende Frau vermuten ließ, die vor ihren geldgierigen Eltern und einem abscheulichen Bräutigam floh? Oder war ihre Wirtin ganz einfach eine gute Seele und sie selbst ein wenig zynisch geworden, weil sie in letzter Zeit selten einen guten Menschen zu Gesicht bekommen hatte?
    Sie holte ihre Reisetasche unter dem Tisch hervor und trat hinaus in den frischen Septembermorgen, um auf die Ankunft der Kutsche zu warten. Mittlerweile war sie begierig, die Reise fortzusetzen. Selbst wenn ihre Mutter ihre Abwesenheit bei den Mahlzeiten zuerst als einen Anfall von Trotz interpretiert hatte, hätte sie jetzt doch gewiss die kurze Nachricht entdeckt, die sie auf der Frisierkommode hinterlassen hatte.
    Emma bezweifelte, dass sie nach ihr suchen würden. Sie verfügten weder über das nötige Geld, noch, so dachte sie, wären sie geneigt, Ermittler auf ihre Spur anzusetzen. Schließlich war sie eine Frau von siebenundzwanzig Jahren und kein schutzbedürftiges Kind. Außerdem hatte ihre Mutter gesagt, ihre Anwesenheit sei unerträglich. Vielleicht waren ihre Eltern ja erleichtert, dass sie Rosemary House verlassen hatte. Wie sie mit dem

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