Der Silberbaron
… bis vor kurzem. Aus irgendeinem verrückten Grund empfand er es jetzt als großes Ärgernis, dass er nicht über den Hof gegangen war, um sie zu betrachten, und die Absurdität des Ganzen machte ihn beinahe wahnsinnig.
“Ich will nicht, dass du jetzt schon weggehst. Du verlässt mich viel zu oft … viel zu bald. Das ist nicht gerecht …”, rief Yvette leise hinter ihm, ihn aus seiner Gedankenverlorenheit reißend.
Er biss auf die Zigarre und zog beständig daran, doch er wandte sich mit einem Lächeln zu ihr um. “Und was gedenkst du dagegen zu unternehmen?”
Yvette schwang die langen Beine aus dem Bett und warf sich am Bettrand in eine wohlüberlegt aufreizende Pose. Sie bog den Hals zurück, legte den blonden Kopf schief und betrachtete ihn zwischen fast geschlossenen cremeweißen Lidern. Dann erhob sie sich langsam und ging mit wiegenden Hüften auf ihn zu, und bei jedem geschmeidigen Schritt tanzten ihre vollen Brüste. “Ich glaube schon, dass ich dich dazu bringen kann, es dir anders zu überlegen … das Weggehen und eine Menge andere Dinge …”, schnurrte sie, als sie vor ihm stehen blieb und den nackten Bauch an ihm rieb. Mit ihrem langen Fingernagel strich sie an seinem Oberschenkel entlang, grub ihn in das feine Tuch, als sie sich seinem Schritt näherte.
Kurz bevor sie ihr Ziel erreichte, packte er ihre Hand, führte die Handfläche an die Lippen und drückte einen Kuss darauf. Dann drehte er sie von sich weg und stieß sie sanft in Richtung Bett. “Ich muss gehen.”
“Geschäfte … Geschäfte … immer nur Geschäfte”, warf sie ihm heftig vor. “Ich habe diese ständigen Geschäfte allmählich ganz schön satt! Ich bin zu viel allein. Ich brauche Gesellschaft … Ich brauche dich …”
“Mich bekommst du nicht, Yvette, lass dir das ein für alle Mal gesagt sein”, erklärte er langsam und bedächtig, damit sie ihn wirklich vollkommen verstand, und besiegelte es mit einem Lächeln, das nicht bis zu seinen metallischen Augen vordrang. “Wenn du einsam bist, so besorge dir eine Gesellschafterin”, fügte er lässig hinzu, während er an ihr vorbei und zur Tür ging.
“Was?”, kreischte sie. “Wie denn? Fallen Freundinnen etwa vom Himmel?”
“Gib eine Anzeige im ‘Herald’ auf …”, schlug er mit einem aufreizenden Lächeln vor und schloss die Tür hinter sich.
2. KAPITEL
Emma atmete tief durch und blickte ein weiteres Mal um die Hecke.
Beim Anblick der verwitterten Bretter und der verrutschten Dachziegel geriet ihr Optimismus ins Wanken. Das Cottage wirkte verlassen. Vielleicht war er ja wirklich weggezogen. Bitte nicht! flehte sie im Stillen. Die Schatten wurden bereits länger, und die Londoner Kutsche war längst aus ihrem Blickfeld verschwunden und auf dem Weg nach Bath.
Sie war im Dorf Oakdene ausgestiegen, wo sie sich unter den neugierigen Blicken der Dorfbewohner auf die Suche nach Nonsuch Cottage gemacht hatte. Eine Brombeerranke, die sich in ihren Röcken verhakte, hatte sie vorhin im wahrsten Sinn des Wortes über ihr Ziel stolpern lassen: Ihr Blick wanderte von dem Schild am Tor über wuchernden Fingerhut, scharlachrote Rosen, Gräser und Wiesenkerbel zu der schiefen Tür.
Aufgewachsen in einem eleganten Backsteinhaus im Londoner Stadtteil Kensington, hatte sie gar nicht gewusst, dass es derart baufällige Behausungen überhaupt gab. Bei näherer Betrachtung wirkte das Cottage jedoch durchaus stabil und strahlte zudem großen ländlichen Charme aus. Womöglich war es im Inneren sauber und gepflegt; man konnte von einem verwitweten Gentleman schließlich nicht erwarten, dass er sich mit Unkraut aufhielt, wenn es kleine Kinder zu versorgen galt.
Fast wie zur Bestätigung der Überlegungen kreischte eine Frauenstimme etwas Unverständliches, worauf sich helles Kindergeheul erhob. Das Haus war also bewohnt, und zwar von einem keifenden Marktweib, wie es den Anschein hatte. Ihr kam ein so fürchterlicher Verdacht, dass ihr fast das Herz stehen blieb, und sie fragte sich, wieso sie eigentlich nicht früher auf die Idee gekommen war: War Matthews Brief deswegen seit einem halben Jahr überfällig, weil er wieder geheiratet hatte? Plötzlich flog die Brettertür auf. Ein kleiner Mischlingshund kam winselnd herausgeschossen, streifte Emmas Röcke und sprang dann auf den Feldweg.
“Verfluchter Köter!”, zeterte eine junge Frau. Sie wollte die Tür schon wieder hinter sich zuwerfen, als ihr Blick auf Emma fiel. Ihr Blick wurde hart. “Wir brauchen nix.
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