Der silberne Buddha
ihn zu packen, zu beuteln und ihm den Hals zuzudrücken.
„Aha“, würgte er entsetzt hervor, und sein erster Gedanke war, auf der Stelle fortzulaufen.
Irgendwohin.
„Was... was er von mir wollte, hat er nicht gesagt, der... der... Junge?“ Es kostete ihn Anstrengung, das Wort „Junge“ auszusprechen. Doch Miß Taggerty war so mit Nachdenken beschäftigt, daß sie Pennys Erschrecken gar nicht bemerkt hatte.
„Ja, das ist eigenartig. Er behauptete, Sie zu suchen, fragte jedoch nicht nach Ihrer Adresse... Na ja, vielleicht ruft er noch einmal an.“
Penny Nichols zwang sich zur Ruhe. Nur jetzt nichts falschmachen, rief er sich zu und verwünschte gleichzeitig, hergekommen zu sein. Er mühte sich um ein harmloses Lächeln, was jedoch mehr nach einer Grimasse der Verzweiflung aussah, und sagte leise, sozusagen im Verschwörerton: „Es wäre mir lieb, wenn Sie meine Adresse für sich behalten würden.“
„Aber warum denn, Mister Nichols?“ fragte Miß Taggerty. „Sicher will der Junge doch nur ein paar Tips von Ihnen. Warum wollen Sie so hart sein?“
„Er kann viel bessere Tips von Ihnen bekommen. Ich will niemand sehen. Man schleppt mir nur Krankheiten herein!“ Sollte sie ihn seinetwegen für verrückt halten, ihm war es gleich. Er ließ ihre verdutzten Blicke unberührt über sich hinweggleiten und ertrug ebenso ihr spöttisches Verziehen der Mundwinkel. Und als sie achselzuckend versprach: „Okay, Mister Nichols, ich werde dem Jungen Ihre Adresse nicht geben!“ fühlte er Erleichterung. Dabei wußte er, daß all das nur ein Aufschub war. Über ihm hingen furchtbare Gewitterwolken.
Panikartig, von den nachdenklichen Blicken Virginia Taggertys verfolgt, verließ er das Vogelhaus...
11 Uhr 40
Niemand, der in die Santley Street in Brixton einbog — gleichgültig ob zu Fuß oder im Auto —, vermochte den metergroßen Papagei zu übersehen. Buntschillernd (zwölf Farben, nachts beleuchtet!) thronte er auf einer Stange über dem Haupteingang von Taggertys Vogelhaus. Auch Perry Clifton entdeckte diesen Wegweiser auf den ersten Blick. Wonach er allerdings vergeblich Ausschau hielt, war eine Parkmöglichkeit. Schimpfend kurvte er immer wieder ums Quadrat, bis es ihm endlich gelang, in der Watters Lane eine viel zu kleine Parklücke zu ergattern. Fünfmal mußte er vor- und zurückstoßen, dann erst stand er zwischen einem Kleinstwagen und einem Taxi, dessen Fahrer anscheinend in der Fischbratstube gegenüber einen Imbiß zu sich nahm.
Zwei Drittel der Watters Lane lagen vor ihm, bevor er in die Santley Street einbiegen konnte. Als er endlich Taggertys Vogelhaus betrat, war es 11 Uhr 59 geworden.
Alle Verkäuferinnen und Verkäufer trugen beigefarbene Mäntel mit einem aufgenähten Papageienkopf auf der linken Brustseite. Darunter ein kleines Schildchen mit ihren Namen. Perry Clifton wollte gerade der ausgestreckten Hand mit der Aufschrift „Zu den Vogelabteilungen“ folgen, als eine Verkäuferin auf ihn zukam. Forsch, energisch und mit Überzeugung im Blick, sie könne, wenn sie müsse, jedem Kunden einen Elefanten verkaufen.
„Kann ich Ihnen behilflich sein, Sir?“ fragte sie.
„Wenn Sie sich bei der Vogelkundschaft auskennen, dann ja“, erwiderte Clifton mit einem Lächeln.
„Dann wenden Sie sich am besten an Mister Davis. Das ist unser Vogelfachmann.“
„Und wo finde ich den?“
„Bei den Vögeln. Sie können ihn gar nicht verwechseln, er ist hinten der einzige, der einen Spitzbart trägt.“
Der Spitzbart bediente gerade ein älteres Ehepaar, und wie Perry Clifton dem Gespräch entnehmen konnte, ging es um die Frage, ob sie einen einzelnen Wellensittich oder ein Pärchen nehmen sollten. Dank der Beredsamkeit von Mister Davis, die schon Überredungskunst war, entschloß sich das Paar für zwei blaue Sittiche.
Während sie zu dritt in Richtung Kasse schritten, versprach der Spitzbart den Käufern „schiere Anhänglichkeit“, „fortwährende Heiterkeit“, stets „Spaß und gute Laune“, dazu noch Freude, Überraschung und „Glück, wie es vollkommener nicht sein kann“. Es versteht sich, daß er trotz dieser mit viel Gestik servierten Versprechungen das unauffällige Zeichen, das ihm Perry Clifton im Vorbeigehen gab, wahrnahm und mit einem freundlichen Nicken quittierte.
Drei Minuten später stand er vor ihm.
„Welchen Wunsch kann ich Ihnen erfüllen?“
„Sie sind Mister Davis, der hochgelobte Vogelexperte!“
Obwohl daran kein Zweifel bestand, tat Perry Clifton,
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