Der silberne Buddha
die letzte kleine Schauminsel, die sich auf der Oberfläche seines Glases drehte und dabei immer kleiner wurde.
Sollte er überhaupt hingehen?
Warum verschwand er nicht einfach?
Warum machte er es nicht wie Gordon Drake und wechselte Name und Adresse?
Er sah sich um. Müde und erschöpft.
Nein, dazu war er zu alt. Und überhaupt... seine Vögel... Wenn nur nicht dieses furchtbare Gefühl aufziehender Gefahr gewesen wäre. Er spürte sie, wie er sie immer gespürt hatte.
Ein Junge...
Penny war zeit seines Lebens ein Kinderfreund gewesen, wie auch ihm die Kinder zugetan waren. Und wenn er auf die Vergangenheit zurückblickte, so erschienen ihm die Jahre mit dem Puppentheater als die glücklichsten in seiner langen Schaustellerzeit. Über siebzig Puppen gehörten in der besten Zeit zu seiner Ausstattung. Zu sechst arbeiteten sie, und nicht selten waren die vierzehn Vorstellungen, die sie an erfolgreichen Tagen gaben, ausverkauft. Ausverkauft hieß in diesem Fall, daß alle Bänke in dem kleinen Zelt so dicht mit erwartungsfrohen Kindern besetzt waren, daß dazwischen nicht mal mehr eine schlanke Maus Platz gefunden hätte.
Dann kam in Liverpool das große Unglück. Während er mit seinen Mitspielern zum Essen in die Innenstadt gefahren war, vernichtete ein Feuer seinen Wohnwagen samt Zelt, Puppenbühne und allen Puppen. Vier Jahre mußte Penny Nichols bei anderen Schaustellern arbeiten, bis er das Geld für einen bescheidenen Neubeginn zusammengespart hatte.
Endlose Jahre war er nur mit einem Ziel über die englische Insel gezogen: Richard O’Heely zu finden, den Mann, der aus Neid und Mißgunst den Brand in Liverpool gelegt und den die Polizei nie gefaßt hatte. Doch alles Suchen und Forschen von Penny Nichols blieb erfolglos. Er sah O’Heely bis auf den heutigen Tag nicht wieder.
Penny erhob sich, trug den noch halbgefüllten Suppenteller zum Ausguß, schüttete die Hühnersuppe weg und ließ Wasser über den Teller laufen.
„Die Prinzessin mit den Flügeln“ hieß das erfolgreichste Puppentheaterstück seines Programms. Er selbst spielte darin den Petrus, der sich vergeblich mühte, es regnen zu lassen.
Nanu, es war ihm gar nicht aufgefallen, daß die Purpurweber wieder fröhlich schnäbelten. Minutenlang vergaß Penny Nichols seine Sorgen und sah weltvergessen den beiden Vögeln zu, die plötzlich wieder flink herumhüpften und fröhliche Laute ausstießen.
War es nun wirklich nur eine psychologische Verstimmung gewesen, wie Mister Davis zu wissen glaubte?
12 Uhr 40
Der Mann hinter dem Steuer des Mustang trug einen hellbeigen maßgeschneiderten Einreiher mit gleichfarbiger Weste, dazu ein Seidenhemd in Dunkelrosa und eine Krawatte aus bestickter Schantungseide.
Der amerikanische Wagen war auf einen gewissen Mister Malcolm Shorting eingetragen, wohnhaft in der Sunnybill Road 84 im Stadtteil Streatham. Aufgrund seiner Vorsicht im Umgang mit anderen Menschen wußten nur sehr wenige Leute darüber Bescheid, daß sich hinter dem Autofahrer Malcolm Shorting Mister Gordon Drake verbarg.
Und eben dieser Gordon Drake kehrte gerade zurück aus Rangford, wo er Mac Withney die zweite Rate seines Anteils ausgehändigt hatte...
Withney hantierte zusammen mit seiner Tante am Heuwender, als Drakes Wagen auf den Hof rollte. Er war ausgestiegen, hatte sich artig vor Esther Withney verbeugt, auf den qualmenden Kühler gezeigt und um einen Eimer Wasser gebeten. Es war nicht auszumachen gewesen, wessen Gesicht das verblüfftere war, das von Mrs. Withney oder das von Mac.
Esther Withney, die eigentümlicherweise ohne jedes Mißtrauen war, forderte Gordon Drake, der sein Gesicht mit einer übergroßen Sonnenbrille, sowie mit Spitz- und Schnauzbart unkenntlich gemacht hatte, schmunzelnd und ahnungslos zu einer Tasse Tee auf. Und sie brachte ihre Einladung mit den Worten vor: „Wenn sich Ihr Wagen schon mit Wasser begnügt, dann darf ich Ihnen eine Tasse Tee anbieten.“ Während Drake den dankbar angenommenen Tee schlürfte, füllte Mac frisches Wasser in den Tank, dessen Inhalt Gordon, kurz nachdem er von der A 414 abgebogen war, in den Sand hatte laufen lassen. Es bedurfte später keiner Zauberei, den Umschlag mit dem Geld von einer Hand in die andere gelangen zu lassen...
Gordon Drake überholte einen langsam fahrenden Streifenwagen der Polizei und bog wenig später von der A 12 in die A 406 ein. Er schaltete das Radio ein. Hoffentlich war Penny zu Hause... Sicher hatte ihn der Alte schon früher erwartet. Doch
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