Der silberne Sinn
Rasenflächen des Parks durchschnitt.
Dem zufälligen Beobachter mussten die beiden wie ein Liebespaar erscheinen: Sie spazierten eine Weile auf die Kirche der Heiligen Peter und Paul zu, ein strahlendes Bauwerk mit zwei in der Sonne blitzenden weißen Türmen.
Allmählich ging es Yeremi besser, was Saraf wohl spüren musste, denn gerade im richtigen Augenblick sagte er: »Wir wissen nun auch eine ganze Menge über Al Leary.«
Sie hielt in ihrer Bewegung inne, blieb jedoch bei ihm untergehakt und sah ihn verwundert an. »So?«
Saraf nickte. »Während du mit ihm gesprochen hast, erkundete mein Fühlsinn seine Empfindungen. Ich habe mir eingeprägt, wie du deine Lippen bewegst, wenn du bestimmte Worte aussprichst oder Namen wie ›Telepathin‹, ›Hanussen‹, ›Baecker‹ oder ›Moltridge‹. Als ihr lauter wurdet, konnte ich sogar ein paar Brocken eurer Unterhaltung aufschnappen. Aus allen diesen Mosaiksteinchen ergibt sich ein aufschlussreiches Bild.«
»Ich bin gespannt.«
»Als du über die Droge gesprochen hast – das Telepathin – und im gleichen Atemzug über deinen Urgroßvater Hanussen, fühlte sich Leary ertappt.«
»Das habe ich auch so empfunden.«
Saraf lächelte. »Du machst Fortschritte.«
»Learys Körpersprache war nicht schwer zu deuten. Also hat er sich bei seiner Vorbereitung auf die Expedition wohl doch intensiver mit Hanussen beschäftigt, als er zugeben wollte.«
»Als du mehrmals Baeckers Namen erwähnt hast, war Leary beunruhigt, aber zugleich verwirrt.«
Ein Mann mit Schubkarre kreuzte ihren Weg. »Das könnte bedeuten, er weiß von einem deutschen Berater, kennt aber keine oder nur wenige Einzelheiten über ihn.«
»Interessant wurde es dann, als du Moltridge und Iceberg ins Spiel gebracht hast…«
»Das habe ich auch bemerkt!«, unterbrach Yeremi ihn aufgeregt, verstummte aber sogleich wieder, als ihr Sarafs wissender Blick auffiel.
Wieder lächelte er. »Die beiden dürften, wie du vermutet hast, ein und dieselbe Person sein.«
»Leider hat sich Al kein Wort über den eigentlichen Zweck des Projektes entlocken lassen. Klar, sie wollen die empathische Telepathie beherrschen wie… wie…«
»Eine Waffe?«
Yeremi starrte Saraf zuerst nur erschrocken an, aber dann nickte sie. »Ja, du hast Recht. Dieses ganze Gerede vom therapeutischen Nutzen der Empathie ist sowieso nur Maskerade. Der CIA ist nicht die CDC.«
»Wer?«
»Das Seuchenkontrollzentrum in Atlanta.«
»Anscheinend verstehen gewisse Leute den Geheimdienst eher als Seuchenverbreitungszentrum. Es gibt noch etwas, das mir im Laufe deines Gesprächs mit Al Leary aufgefallen ist, und allein wegen dieser Beobachtung hat sich die Begegnung gelohnt.«
»Du sprichst von Ugranfir, stimmt’s? Als ich Al verdächtigte, deinen Ratsbruder von der Klippe gestoßen zu haben, war er ziemlich aufgeregt. Natürlich hat er alles abgestritten und sogar den Verdacht auf dich gelenkt. Wie sagtest du doch so schön? ›Entwickle ein Gespür für diejenigen, die immer einen Schuldigen brauchen und suchen.‹«
Saraf nickte. »Deine Beobachtungen stimmen ziemlich genau mit dem überein, was ich durch meinen Fühlsinn wahrgenommen habe. Al Leary hat Ugranfirs Tod verschuldet, da bin ich mir ganz sicher. Vielleicht war es ein Unfall, aber auf jeden Fall plagte ihn ein schlechtes Gewissen. Ich wollte jedoch auf etwas anderes hinaus.«
»Und das wäre?«
Saraf nahm Yeremis Hand. »Gegen Ende eures Gesprächs hast du langsam die Kontrolle verloren. Aber das ist nicht schlimm. Du bist sehr mutig gewesen, Jerry.«
Sie erwiderte dankbar seinen tröstenden Blick. »Erfahre ich jetzt, wofür sich diese Tortur gelohnt haben soll?«
»Erinnere dich, wie aggressiv Al Leary geantwortet hat. Es sah aus, als wäre seine Hand ein Vorderlader, der auf dich gerichtet ist. In seinem Innern dröhnte zu dieser Zeit die pure Angst. Wenn die Gefühle so klingen, dann nur, weil jemand etwas Schreckliches zu verbergen hat und fürchtet, entlarvt zu werden.«
»Du meinst…?«
Saraf nickte. »Al Leary ist direkt am Tod des Silbernen Volkes beteiligt. Sein Herr, Jefferson H. Flatstone, mag den Mord beschlossen haben, aber ich bin überzeugt, Al Leary wählte den Zeitpunkt. Er hat die gelben Geister gerufen.«
Obwohl Yeremi diese Nachricht nicht wirklich überraschte, machte es sie doch einige Augenblicke lang fassungslos. Sie hatte einmal einen Menschen geliebt, der ein Massenmörder war. Gehörte etwa auch die dramatische Zuspitzung ihrer jüngsten
Weitere Kostenlose Bücher