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Der silberne Sinn

Titel: Der silberne Sinn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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bringen und erbitte kurzfristig einen Interviewtermin. Am Sonntagnachmittag um drei sei noch eine Lücke frei, zwischen People und Nature, antwortete Yeremi und fixierte den Termin. Sie kam sich vor wie die Agentin eines heiß begehrten Rockstars. Doch hier ging es nicht um Publicity, sondern ums nackte Überleben.
    Als am Montag wieder die Wissenschaft ihr Recht verlangte, atmete Yeremi innerlich auf. Public-Relations-Arbeit war nie ihr Ding gewesen.
    Zwei dunkle Großraumlimousinen hielten vor der Casa Joaquin Murrieta. Aus der hinteren stieg Al Leary aus und hieß seine Versuchskaninchen willkommen.
    »Was steht heute auf dem Programm?«, fragte Yeremi.
    »Wir nehmen euer Gehirn auseinander«, antwortete der Psychologe.
    Ihr Atem stockte. Der kurze Blickkontakt mit Saraf verriet dessen Unbesorgtheit. Sie entspannte sich wieder. Einen Moment lang hatte sie Leary tatsächlich geglaubt, aber jetzt begann er zu grinsen.
    »Hat dir schon mal jemand gesagt, dass deinem Humor ein penetranter Moder- und Grabgeruch anhaftet, Al Leary?«
    Er lachte. »Das bekomme ich ständig zu hören! Aber wenn’s dich beruhigt: Wir fahren zum Campus nach San Francisco rüber. In der Abteilung für Nuklearmedizin haben sie alles Nötige, um eure Köpfe ohne jedes Skalpell auseinander zu nehmen. Schon mal was von SPECT gehört?«
    »Hört sich für mich verdächtig nach Spektakulum an. Oder hat es irgendetwas mit Voyeurismus zu tun?«
    »Ich habe es schon früher gemocht, wenn du so klug redest, Jerry. Das macht dich so verführerisch. Aber ich kann dich beruhigen. Wenn überhaupt, dann ist SPECT eine Peepshow der Neuronen. Ratnakar S. Chidambarampillai von der U. C. San Diego ist heute früh eingeschwebt. Er wird die Untersuchung auswerten.«
    Der Name kam Yeremi bekannt vor, möglicherweise von ihren Recherchen im Vorfeld der Guyana-Expedition. »Ist der nicht Neurologe?«
    »Einer der besten! Er ist Direktor des Center for Brain and Cognition und außerdem Professor am Salk Institute for Biological Studies in La Jolla. Wenn es in Saraf Argyrs Kopf etwas Neues zu entdecken gibt, dann ist er genau der Richtige dafür. Und jetzt steigt ein. Das Equipment, das Flatstone für heute gemietet hat, ist schweineteuer.«
    Yeremi und Saraf stiegen in den Fond des ersten Vans, vorne nahmen zwei schweigsame Herren in grauen Anzügen Platz. Leary bestieg wieder den zweiten Wagen. Der Konvoi setzte sich in Bewegung.
    Die Wagen fuhren zum Freeway 80 und auf diesem über die Bay Bridge nach San Francisco hinüber. Während der Fahrt musste Yeremi einmal mehr an jenen winzigen Sieg denken, den sie am vergangenen Freitag über Al Leary errungen hatte. In seinem Überschwang war ihm ein Lapsus unterlaufen. Sie hatte ihn gefragt, ob der CIA nichts Besseres zu tun habe, als den Personenschutz für Probanden zu übernehmen, und er war darauf reingefallen. Anstatt sich von der »Firma« zu distanzieren, hatte er Yeremis Vermutung bestätigt.
    Seitdem grübelte sie darüber nach, was der amerikanische Auslandsgeheimdienst bei einer Inlandsoperation zu tun hatte. Nach langem Abwägen erschien ihr eine Erklärung die plausibelste zu sein: Flatstone gehörte immer noch dem CIA an, er besaß genügend Macht, um auf die Ressourcen der Behörde zurückgreifen zu können. Aber er operierte offenbar neben den offiziellen Befehlsstrukturen, was bedeutete, dass sein »Empathie-Projekt« ein Alleingang war.
    Wenig später wurden Yeremi und Saraf in ein weiteres Labor geführt. Professor Ratnakar Chidambarampillai sowie fünf oder sechs Mitarbeiter der hiesigen Dependance der Universität von Kalifornien bildeten das Begrüßungskomitee. Der untersetzte Neurologe aus San Diego war indischer Herkunft und wirkte leicht exzentrisch.
    Er umrundete Saraf wie einen fünfhundert Jahre alten Globus, murmelte »Bemerkenswert!« und schritt erneut um den Silbermann herum.
    Yeremi verfolgte, gespannt an der Oberlippe saugend, die Inspektion, bis sie nach einer Weile etwas spöttisch fragte: »Schon was entdeckt? Neuland? Oder wenigstens Möwen am Horizont?«
    Chidambarampillai verharrte mitten im Lauf. Ohne das linke Bein auf den Boden zurückzustellen, antwortete er: »Höcker und Dellen des Schädels galten früher als Merkmale besonderer geistiger Fähigkeiten.«
    »Aber über dieses Stadium sind wir inzwischen hinweg?«
    Chidambarampillai nickte. »Über dieses Stadium sind wir inzwischen hinweg.«
    »Und warum starren Sie Saraf Argyr dann so an?«
    »Würde ein Besucher von

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