Der silberne Traum - Die Chroniken der Nebelkriege ; 4
Fi sah Nikk bibbernd an. »Erinnerst du dich noch an Lorelines Worte?« Zitternd zog sie die Reste des geborstenen Füllhorns aus ihrem Köcher.
Nikk sah sie zähneklappernd an. »Du meinst, dass in den Scherben noch immer die Wirklichkeit steckt? Was soll uns das …?«
»Diese Scherben verhalten sich wie Magnetsteine.« Fi zitterte inzwischen am ganzen Leib. Sie zog die beiden Teile des magischen Füllhorns auseinander und führte sie klickend wieder zusammen.
»Und?« Koggs sah sie ungeduldig an.
»Versteht ihr nicht? Die Scherben ziehen sich an. Das hier ist aber bloß ein Teil des Füllhorns. Der Rest liegt noch irgendwo in Rüstringen. Also nicht hier, sondern … in der Wirklichkeit!«
In Koggs’ Augen stahl sich ein hoffnungsvolles Funkeln. »Nicht schlecht für eine Landratte!« Er nahm Fi das Füllhorn ab und beäugte es interessiert. »Los, aufstehen! Vielleicht lässt sich das Ding wie eine Art Kompass benutzen.« Fi und Nikk erhoben sich und sahen dem Klabauter dabei zu, wie er das untere Teil des Füllhorns auf die schmale Sitzbank legte. Aufmerksam betrachteten sie das Gefäßstück und tatsächlich drehte es sich leicht gen Steuerbord.
»Es funktioniert!«, jubelte Fi.
»Aber wohin jetzt?«, fragte Nikk. »Zur spitzen Seite oder in Richtung Öffnung?«
»In Richtung Öffnung!« Fi war sich ganz sicher. »Dort ist das Füllhorn zerbrochen.«
Koggs peilte über den Daumen in die Finsternis und lächelte grimmig. »Dann los!«
Er tauchte die Ruderblätter in die spiegelnde Geistersee und legte sich in die Riemen. Das kleine Boot knarrte und Fi behielt das Füllhornstück im Auge. Irgendwo weiter hinten heulte der Geist des Zauberers auf, während sich ganz allmählich inmitten des dunklen Sternenmeers wieder jener purpurrote Streif abzeichnete, der den Sphärenriss markierte.
»Da ist der Durchgang!«, rief Nikk. »Wir schaffen es!«
Das unheimliche Glosen kam immer näher, doch jetzt schwebte das rachsüchtige Geisterskelett zornig auf das Boot zu. »Verschwinde in die Schatten, du fahler Wattwurm!«, brüllte der Klabauter ihm entgegen. »Ich bin Koggs Windjammer und du bist ein Nichts!«
Jaulend stob der Geist davon.
Fi sah den Klabauter zweifelnd an, doch der grinste schadenfroh. »Was? Ein großes Schiff braucht auch große Segel.«
Das Boot glitt durch den flackernden Sphärenriss und schlagartig wurde es wärmer. Richtige Wellen schlugen gegen die Bordwand und Fi seufzte erleichtert. In der Ferne konnte sie die Silhouette von Koggs’ Schiff ausmachen und am Nachthimmel sah sie Dystariel. Obwohl das Tau schon lange im Meer versunken war, hatte sie den Sphärenriss offen gehalten. Das rote Leuchten in den Krallen der Unheimlichen erlosch und mit ihm verebbte auch das purpurrote Glosen im Meer hinter ihnen. Die Schwarze See hatte sie wieder.
»Ich hoffe, Ihr habt erfahren, was ihr wissen wolltet?«, fragte Koggs den Meermann.
Nikk sah Fi nachdenklich an. »Ja, ich glaube schon. Ich muss nur noch einmal über die Worte meines Vaters nachdenken«, sagte er dann.
»Gut, denn auch ich habe eine Botschaft erhalten.«
»Von Kiela Schotbruch?« Fi rieb sich die klammen Finger.
»Gut erkannt«, knurrte der Klabauter, dessen Blick noch immer prüfend auf Nikk lag. »Diese Botschaft wird Euch jedoch nicht glücklich stimmen, Königliche Hoheit.«
»Wieso?«, fragte der Meermann.
»Morgoya plant offenbar, Euer Volk nicht bloß zu unterwerfen, sondern komplett auszulöschen!«
»Was?«, rief Nikk erschrocken.
Koggs sah den Meermann mitleidig an. »Kiela meinte auch, dass Ihr selbst es seid, der diese Gefahr mit der Suche nach dem Dreizack heraufbeschwörte.«
Hammaburg
W as soll ich mit Kiela Schotbruchs Warnung anfangen?«, fragte Nikk. »Soll ich etwa davon absehen, mein Volk zu retten?«
Fi und der Meermann standen am Bug, lauschten dem Wind in der Takelage und sahen dabei zu, wie das Schiff durch die Mündung der Elbe auf Hammaburg zusteuerte. Koggs hatte vorgeschlagen, Magister Eulertin aufzusuchen und um Rat zu bitten. Der Fluss trug die alte Bezeichnung der Menschen für die Elfen und Fi war sich sicher, dass an seinen Ufern einst Angehörige ihres Volkes gelebt hatten. Leider war davon nicht mehr viel zu spüren.
Hammaburg war eine große Menschenstadt, die den Eindruck erweckte, schon viele Jahrhunderte alt zu sein. Eingefriedet von hohen Verteidigungswällen erstreckte sich an der linken Uferseite ein Meer aus großen und kleinen Häusern. Stolze Fachwerkbauten stachen
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