Der silberne Traum - Die Chroniken der Nebelkriege ; 4
leuchteten. Doch was war das? Ganz in der Nähe sah sie sich selbst in einem rot-weißen Narrenkostüm. Doch das war nicht irgendeine Verkleidung, sondern das Gauklergewand Tandarins – wo auch immer der verräterische Elf jetzt steckte. Fi schüttelte verwirrt den Kopf. Diesen Ort hatte sie ganz bestimmt noch nie zuvor gesehen. Plötzlich fiel ihr ein Menschenjunge mit schwarzem, leicht lockigem Haar auf. Die dunklen Strähnen fielen ihm immerzu ins Gesicht, er trug einfache Bauernkleidung und wirkte freundlich. Nur die kunstvoll geschnitzte Flöte aus Eichenholz, die in seinem Hosenbund steckte, schien nicht so recht zu ihm zu passen. Ganz zu schweigen von der Laterne, die er in der Rechten hielt, und die denen ähnelte, die am Baum hingen. Darin züngelte ein Irrlicht! Wie kam ein einfacher Menschenjunge in den Besitz eines solchen Wesens?
»Wenn du Elfenbalg glaubst, dass …«
»Haltet den Mund, Schinnerkroog!« Ohne ihn anzusehen, spannte Fi die Sehne ihres Bogens und brachte den Ersten Ratsherrn zum Schweigen. Sie konzentrierte sich weiter auf den Brunnen. Der unbekannte Junge musste eine wichtige Rolle in ihrer Zukunft spielen, denn sein Bild zeichnete sich immer noch deutlich im Wasser ab. Einen Moment lang hatte sie sein Gesicht sogar so klar vor Augen, dass sie glaubte, er würde sie direkt ansehen. Warum zeigte der Brunnen ihr ausgerechnet diesen Menschen? Sie hätte viel dringender etwas über den Glyndlamir und den Dreizack erfahren wollen.
In diesem Moment schob sich das Abbild des Dreizacks über das Gesicht des Jungen. Die stolze Insignie des Meervolks war nur in einem schlechten Licht zu sehen, doch Fi erkannte, dass sich der Dreizack inmitten von Muscheln und abgenagten Gräten irgendwo tief unten auf dem Meeresgrund befand. Verflucht, das Meer war riesig. Wie sollte sie da den Dreizack finden?
Das Bild im Brunnen wechselte abermals und von einem Augenblick zum anderen erschien der Glyndlamir. Fi atmete scharf ein. Das Amulett aus Mondeisen sah genauso aus wie in ihren Träumen. Doch sie konnte nicht erkennen, in welcher Umgebung es sich befand. Fi flehte alle Schicksalsmächte an, ihr zu zeigen, wo sie nach dem Glyndlamir suchen sollte. Aber das Bild verschwand und sie erblickte stattdessen eine gedrungene Frau mit braunem Kopftuch und einem Zauberstab. Wer war das nun schon wieder? Bevor sie sich nähere Einzelheiten einprägen konnte, wich das Bild einer bauchigen Flasche mit violetter Flüssigkeit, nach der eine Hand griff. Das war ihre Hand! Fi versuchte verzweifelt mehr zu erkennen, als plötzlich Faustschläge gegen die Eingangstür des Rathauses hämmerten. »Sofort aufmachen! Stadtwache!«
Fi schreckte hoch. Das Wasser im Brunnen plätscherte weiter, doch das bunte Licht verblasste. Abermals hämmerte es gegen die Tür.
»Welch unangenehme Überraschung«, rief der Erste Ratsherr höhnisch. »Da draußen werden doch nicht etwa weitere meiner Männer eingetroffen sein? Glaubst du etwa, du kannst dich gegen diese Übermacht wehren?«
»Mir reicht völlig, wenn ich Euch erwische, Ratsherr.« Fi wandte sich den Schreibern zu, die sich um Magister Eulertin und Nikk kümmerten und sie ängstlich anstarrten. Sie warf einen letzten Blick auf den Nixenbrunnen, der jetzt wieder wie bei ihrer Ankunft aussah, und fasste einen verzweifelten Entschluss. »Los, mitkommen«, herrschte sie die drei Männer an. »Und Ihr auch!« Sie scheuchte Schinnerkroog mit gespanntem Bogen zur Treppe. »Wir gehen jetzt nach oben! Und sollte irgendjemand auf dumme Ideen kommen, trifft dieser Pfeil den Ersten Ratsherrn.« Schinnerkroog und die ängstlichen Schreiber, mit Eulertin und Nikk im Schlepptau, stiegen die Treppe zum oberen Stockwerk hinauf. Fi folgte ihnen. Unten hämmerten abermals Fäuste gegen die Eingangstür, doch die Gardisten in der Halle wagten nicht, sich zu rühren. Fi und die anderen erreichten einen langen Gang mit vielen Türen und einem großen Doppelportal am Ende.
»Wie gelangt man aufs Dach?«, fuhr Fi den Schreiber an, auf dessen Handflächen Magister Eulertin lag.
»Dort entlang!« Er legte den Däumling vorsichtig in die Linke, nahm eine Irrlichtlaterne von der Wand und eilte gehorsam voraus. Seine beiden Kollegen schleppten Nikk hinterher. Schinnerkroog verzog spöttisch den Mund. »Was willst du da oben, Spitzohr? Davonfliegen wie ein Vogel?« Er lachte. »Du sitzt in der Falle!«
»Vielleicht will ich Euch einfach nur vom Dach werfen.« Schinnerkroogs Lachen erstarb. Fi trieb
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