Der silberne Traum - Die Chroniken der Nebelkriege ; 4
sofort zu Staub zerfielen. Über dem Geisterschiff, das jetzt bis zur Reling im Hafenbecken versunken war, flammte wieder ein Blitz auf und schlug Funken sprühend im Körper der seltsamen Gargyle ein. Die Schattenkreatur wurde fortgeschleudert, stieg wutschnaubend über dem Wasser auf – und geriet dabei ins Feenlicht. Von einem Augenblick zum anderen erstarrte sie zu Stein und stürzte ins Hafenbecken. Eine hohe Wasserfontäne spritzte auf, dann war sie verschwunden.
Auch der Fliegende Albioner sank immer tiefer, bis nur noch die Mastspitzen aus dem Wasser ragten, die sich plötzlich auf den Lagunenausgang zubewegten. Bei allen Schattenmächten! Jetzt begriff Fi, dass das Geisterschiff nicht einfach untergegangen war. Es floh! Mort Eisenhand konnte den verfluchten Segler unter Wasser offenbar ebenso steuern wie an der Oberfläche.
Dafür holten die Lyren zum entscheidenden Schlag aus. Unter lautem Kreischen rissen sie die riesige Hydra vom Leuchtturm und schleuderten sie jenseits des Damms ins Meer. Das dreiköpfige Ungeheuer wirbelte durch die Luft wie ein riesiger Regenwurm, dann versank auch diese Bedrohung in den Fluten. Berchtis’ silberhelles Licht erstrahlte über den Kaianlagen und die letzten Skelette fielen in sich zusammen. Fi konnte auch keine Humeriden mehr entdecken.
Die Matrosen auf den Stegen und Schiffen jubelten und reckten ihre Klingen in die Höhe. Doch das Feenlicht enthüllte auch das Ausmaß der Zerstörungen, das Morgoyas Handlanger angerichtet hatten und Fi sah unzählige Verletzte und Tote. Erschüttert ließ sie die Waffe sinken.
Neben ihr rauschte es in der Luft und sie erblickte Magister Eulertin. Die Ränder des Eichenblattes, auf dem er stand, waren versengt und er war sichtlich erschöpft. »Oh nein«, flüsterte der kleine Magister.
Unten auf dem Hauptdeck knieten Koggs Windjammer und Bilger Seestrand zusammen mit Nikk neben einem geschundenen Frauenkörper mit langen roten Haaren. Bilgers Gesichtszüge waren wie versteinert und Koggs’ Lippen bebten. Fast zärtlich hob der einbeinige Klabauter den schlaffen Körper an. Bilger und Nikk machten ihm Platz und Koggs hinkte mit der toten Seekoboldin an Land. Die Jubelrufe verstummten und von überall her strömten Matrosen zusammen. Mit leeren Blicken sammelten sie sich um Koggs und die Tote. Koggs blieb stehen und das Haar der Klabauterin umwehte seine Arme wie ein Trauerflor. Eine fast lähmende Stille senkte sich über die Hafenmole.
»Weitermachen, pflichtvergessenes Gesindel!«, bellte Koggs plötzlich los. »Stecht die Fässer an und feiert euren Sieg! Glaubt ihr denn, die einzigartige, alles überragende und bis zum letzten Atemzug tapfere Kiela Schotbruch hätte gewollt, dass ihr euch an ihrem Todestag wie eine Rotte verzagter Bleichschmerlen aufführt?« Seine Augen schimmerten feucht und seine Stimme war tränenerstickt. »Oh nein … das hätte sie … gewiss nicht!«
Koggs trug Kiela weiter durch die Menge und die übrigen Klabauter schlossen sich ihm schweigend an. Fi sah ihnen nach, bis sie zwischen den Menschen verschwunden waren.
In der Takelage flatterte es und Kriwa landete neben ihr auf der Reling. »Koggs war nicht ehrlich mit dir, als er meinte, Klabauterfrauen seien selten«, krächzte die Möwe traurig. »In Wahrheit war Kiela die einzige!«
Der Bote
S ie haben gezielt alle Gegenstände aus Mondeisen mitgenommen, die sie kriegen konnten.«
Fi fühlte sich immer noch wie betäubt, und es dauerte etwas, bis sie begriff, dass Magister Eulertin sie angesprochen hatte. Sie hockte auf den Resten einer zersplitterten Kiste und starrte hinaus auf die Hafenlagune, die vom Nachmittagslicht in ein herbstliches Rot getaucht wurde.
»Mondeisen?«, wiederholte sie lahm. Sie sah zu dem kleinen Magister auf, der nicht weit von ihr entfernt auf einem neuen Eichenblatt schwebte. Der Däumling wirkte übermüdet. Ganz sicher weilte auch er in Gedanken noch bei den Geschehnissen der vergangenen Nacht. Sie hatten dabei geholfen, die Toten zu zählen und die vielen Verletzten zu versorgen. Weit über fünfzig Matrosen hatten die Nacht nicht überlebt und fast die doppelte Anzahl kämpfte noch immer mit schweren Verwundungen. Fi und Eulertin waren auch dabei gewesen, als die Seeleute für die Toten Flöße gebaut und der See übergeben hatten. Auf jedem Floß hatte eine Fackel gebrannt. Und es waren viele Fackeln gewesen, die hinaus in die Nacht geglitten waren. Wie Totenlichter strebten sie auf ihrer letzten Reise
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