Der silberne Traum - Die Chroniken der Nebelkriege ; 4
einzugehen. »Ich muss den Puppenmacher Tandarin sprechen.«
»Tandarin? Schoscho, verschtehe.« Die Alte musterte Fi und deutete zu einer Stelle auf der Flussseite, die etwas abgelegen war. Dort stand ein bunt bemalter Kastenwagen, an dessen Außenseite lachende Fratzen in Weiß und Rot prangten. Zwei Pferde, die neben dem Gauklerwagen angepflockt waren, rupften Gräser aus der Uferböschung.
Fi überlegte, wie sie Tandarin am besten ansprechen sollte, als sich die Tür des Wagens öffnete und zu ihrer Überraschung der Minnesänger samt Geige ins Freie trat. Sein Blick war glanzlos. Fi schlüpfte hinter eines der Zelte und verbarg sich dort, bis sich der Musiker an ihr vorbeigeschleppt hatte. Er kroch in ein kleines Zelt am Rand des Lagerplatzes und tauchte nicht noch einmal auf. Das konnte unmöglich Tandarin gewesen sein. Sie würde einen Angehörigen ihres Volkes sofort erkennen. Doch was hatte der Minnesänger dann in dem Wagen gesucht? Fi schritt beherzt auf den Wagen mit den lachenden Fratzen zu und klopfte forsch an die Tür. Im Innern klapperte es hölzern.
»Wer ist da?«, schnarrte es gedämpft.
Fi runzelte die Stirn, denn sie glaubte, den Klang der Stimme von irgendwoher zu kennen. Abermals klopfte sie.
Die Tür wurde aufgestoßen und ein hochgewachsener Mann in einem rot-weiß gestreiften Umhang lehnte sich zu ihr heraus. Sein Gesicht wirkte hager und auf dem Kopf trug er eine farblich zur Kleidung passende Narrenkappe. Wütend hielt er Fi einen eigentümlich verdrehten Stab unter die Nase, dessen Ende in einem geschnitzten Harlekinkopf mit bunten Bändern auslief. Beim Traumlicht, dieser Tandarin war der Elf aus Jada’Maar!
Hinter ihm baumelten Dutzende kunstvoll gefertigter Marionetten unter der Wagendecke. Der Wagen war überhaupt viel geräumiger, als Fi erwartet hatte. Sie konnte im Zwielicht eine Schlafpritsche und einen Werktisch mit Schnitzmessern ausmachen und an den Wänden hingen einige vergilbte Plakate. Der Elf blähte zornig die Nasenflügel. »Hatten wir nicht eine Vereinbarung getroffen?«, fauchte er. Misstrauisch ließ er den Blick über den Platz schweifen. »Du wolltest mich doch in Ruhe lassen.«
»Ich wusste nicht, dass …«, hub Fi an.
»Na, dann weißt du es jetzt. Verschwinde!« Zornig schlug der Puppenmacher die Tür zu.
Fi trat fassungslos einen Schritt zurück. Es war nicht allein der Umstand, dass sie dem Elfen aus Jada’Maar auf so überraschende Weise wiederbegegnet war. Und es war auch nicht der Umstand, das Tandarin sie so brüsk abgewiesen hatte. Ihr ging das verblasste Plakat nicht aus dem Sinn, das an der Innenseite der Wagentür hing und dessen Schriftzug ihr förmlich entgegengesprungen war. Ein Schriftzug, den ganz sicher auch Magister Thadäus Eulertin interessiert hätte:
KAISER KIRION UND DER TROLLKÖNIG Marionettentheater in drei Akten
von
Meister Tandarin & Morbus Finsterkrähe
Tandarin
N ein, Nikk, an so etwas dürfen wir nicht einmal denken. Das verkehrt den Geist des Wettbewerbs ins Gegenteil.« Fi saß neben der verwaisten Bühne und versuchte sich auf ihre Näharbeiten zu konzentrieren. Doch das war nicht einfach. Drüben in der Stadt ertönten Schalmeienklänge, die zusammen mit Fetzen laut gegrölter Schanklieder bis zum See hallten. Ganz Rüstringen schien die Nacht zum Tag zu machen. Sogar Ritter Egbert und einige seiner friesingschen Gäste erschienen jetzt hoch zu Ross auf der Zugbrücke, um sich den Vergnügungen im Ort anzuschließen.
Missmutig hielt Fi das vierte Tanzröckchen ins Licht der Laterne und legte es zu den anderen. Nikk stand aufgebracht neben ihr, während sie zu den zusammengesuchten Stoffresten griff, um daraus weitere winzige Bekleidungsstücke für die Mäuse zu fertigten. Da ihr keine weiteren Tricks einfielen, die sie mit ihren Mäusen aufführen konnte, musste sie wenigstens am Erscheinungsbild ihrer kleinen Helfer arbeiten.
»Wieso bist du so verstockt?«, wollte Nikk wissen. »Der ganze Wettbewerb ist doch eine einzige Farce. Lorelines Wunsch hin oder her, es sieht nicht so aus, als könnten wir gewinnen.«
»Das werden wir ja sehen«, antwortete Fi patzig. Sie hatte sich schon zweimal mit der Nadel in den Finger gestochen, doch sie wollte auf keinen Fall aufgeben.
»Fi, begreifst du nicht, um was es hier geht?« Nikks Stimme gewann an Schärfe. »Von dem Füllhorn hängt vermutlich der Ausgang des Kampfes gegen Morgoya ab. Ein ganzes Volk, mein Volk, steht kurz davor, in ihre Fänge zu geraten. Und
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