Der silberne Traum - Die Chroniken der Nebelkriege ; 4
Rücken spürte. Die Hitze der Flammenwand dahinter war so groß, dass sich die Rinde bereits schwarz färbte und einige kleine Zweige in Flammen aufgingen.
»Soso, du gibst dich also unwissend«, erwiderte Finsterkrähe kalt. »Egal. Du gibst mir jetzt das Füllhorn und auch dieses Amulett – und ich werde vielleicht ein Wort bei der Nebelkönigin einlegen, damit sie deinen Freund verschont.«
»Welchen Freund?«
»Welchen Freund wohl?«, fauchte der Hexenmeister. »Dieses verdammte Spitzohr, mit dem du aus der Mondeisenmine entkommen bist. Wenn du mir nicht gehorchst, droht ihm ein Schicksal, das du dir nicht einmal vorstellen kannst.«
Fi sah den Hexenmeister erschrocken an. Er musste Gilraen meinen, der ihr im Traum erschienen war. »Ihn kennst du auch?«
»Natürlich!« Gebieterisch streckte Finsterkrähe die Linke aus. »Ihr habt Ihre Nebelkönigliche Majestät lange genug an der Nase herumgeführt. Und jetzt her mit dem Füllhorn, solange du mir lebend nützlicher erscheinst als tot. Sonst verwandle ich dich Stück für Stück in einen Haufen Asche. So wie den da!« Er schwenkte den Zauberstab und schoss eine Flammenlohe auf Egbert ab, ohne den Ritter auch nur anzusehen. Der Schwertarm des Verletzten wurde plötzlich von dunklen Flammen verzehrt und er schrie gellend auf. Alles in Fi vereiste – und mit einem Mal wusste sie, was sie zu tun hatte. Sie wirbelte herum und schlug das Füllhorn der Träume mit aller Kraft gegen den Baumstamm.
»Neiiiin!«, kreischte Finsterkrähe, als das Füllhorn splitternd zerbarst und der magische Nektar durch die Luft spritzte.
»Dafür stirbst du!«, brüllte er. Ein Glutball raste heran und die Welt um Fi herum versank in Flammen.
Traum & Wirklichkeit
W ach auf!«, erklang eine Stimme. Fi schlug die Augen auf und starrte zwischen Zweigen hindurch zu der aufgehenden Mondsichel empor. Kühle Nachtluft streichelte ihre Wangen und von irgendwoher war das leise Grollen eines abziehenden Gewitters zu hören. Es regnete. Unzählige Wassertropfen trommelten sacht auf das Blätterdach, das sich über ihr wie ein schützender Schirm aufspannte.
Sofort schreckte sie hoch, denn sie erinnerte sich nur zu gut an die Szenerie um sie herum. Der Mond am Himmel, der silberne Regen, die hohe Eiche und neben ihr der sprudelnde Bach – träumte sie wieder oder war sie tot? Hastig hob sie die Arme und blickte an sich herab. Sie war unverletzt.
»Gilraen?« Sie sah sich um. Doch der Platz neben ihr war leer.
»Ich bin hier!«, erklang seine Stimme aus der Ferne. Fi stand auf und trat in den warmen Regen. Endlich entdeckte sie den Gesuchten. Der Elf mit dem hellen Haar hockte am anderen Ufer des Bachs auf einem Holzstumpf, hielt einen Bogen in der Hand und lächelte sie traurig an. Der Bach führte viel mehr Wasser als beim letzten Mal. Die Fluten rissen Zweige und sogar Steine mit sich. Fi würde ihn unmöglich durchqueren können.
»Wieso bist du so weit weg?«, rief sie. Misstrauisch beäugte sie die Bäume hinter dem Elfen, die wie versteinert wirkten.
»Wichtig ist doch nur, dass ich hier bin«, antwortete er.
Fi hob die Hand. Von ihren Fingern ging wieder ein Lichtstreif aus, der bis hinüber zu Gilraen reichte. Nur war das Band diesmal irgendwie schmaler.
»Wie geht es dir?«, fragte sie besorgt. »Es heißt, in der wirklichen Welt halte Morgoya dich gefangen.«
»Was sagt dir denn dein Herz?«
»Dass es stimmt«, antwortete Fi zögernd. »Aber auch, dass du noch lebst.«
»Nun, dann wird es wohl so sein«, rief Gilraen gegen das Rauschen des Wassers an.
»Bist du wirklich bei mir?«, wollte Fi wissen. »Oder bist du nur eine Traumgestalt?«
»Wäre das so schlimm?«, erwiderte Gilraen. »Unsere Gedanken und Erinnerungen formen unsere Träume. Und du träumst.« Er erhob sich. »Hast du nicht selbst gesagt, dass wir einander lichtverschworen sind? Ein Teil von mir ist bei dir, auch wenn ich nicht hier bin. Lass mich dir einfach helfen, deine Erinnerungen zurückzugewinnen.«
»Dann sag mir, was geschehen ist«, bat Fi verzweifelt. Die Worte Gilraens ergaben keinen Sinn. »Und was bedeutet dieses lichtverschworen?«
»Ich befürchte, ich weiß nur das, was auch du weißt, liebe Fi.« Gilraen breitete die Arme aus. »Das hier ist dein Traum. Die Antworten auf all deine Fragen ruhen in dir selbst. Du musst nur richtig hinsehen.«
Wie bei ihrer ersten Begegnung deutete er in den Regen. Schlagartig hielten die Regentropfen in ihrem Fall inne, schwebten wie ein Meer
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