Der silberne Traum - Die Chroniken der Nebelkriege ; 4
der Sonne in kunstvollen Zacken aus. Und in der Mitte waren die stilisierten Abbilder der Mondphasen zu sehen. Was hatte Gilraen gesagt? Es sind unsere Erinnerungen und Erfahrungen, die unsere Träume formen. Unsere Erinnerungen?
Fi starrte dem Bild hinterher und stöhnte angesichts der jähen Erkenntnis auf. »Ich selbst habe mir mit dem Glyndlamir alle Erinnerungen aus meinem Gedächtnis gelöscht!«
Erregt beugte sie sich über den Strom der Bilder …
… und schlug unsanft gegen eine Holzkante. Fi würgte Wasser hervor und schnappte keuchend nach Luft. Der Untergrund bebte und der seltsame Traum machte dem flackernden Schein von Feuer Platz, der sich auf dem Wasser spiegelte. Bei allen Schicksalsmächten, das Feuer! Fi hob den Kopf. Fast schmerzhaft wurde ihr bewusst, dass sie nicht etwa verbrannt am Ufer lag, sondern quer auf der Plane eines Beibootes, das an einem Tau hinter Koggs’ Schiff im Fluss dümpelte. Von ihren durchnässten Kleidern stieg ein leichter Brandgeruch auf, doch sie spürte keine Schmerzen. Fi spähte zum Ufer. Dort bot sich ihr ein schrecklicher Anblick. Überall in Rüstringen brannten Häuser. Menschen liefen schreiend umher und bildeten mit Eimern Wasserketten. Auch auf der Gauklerwiese schlugen grelle Flammen zum Nachthimmel empor. Koggs hatte sein Schiff längst zur Flussmitte gesteuert, um der Funkenglut zu entgehen.
Erst jetzt bemerkte Fi, dass sie krampfhaft das Füllhorn umklammert hielt, oder zumindest das, was davon übrig geblieben war. Der komplette obere Teil war weggebrochen und die spitz zulaufende Unterseite des Gefäßes war von hässlichen Rissen übersät.
Neben ihr tauchte Loreline aus den Fluten auf. Ihr hübsches Undinengesicht war von Kummer gezeichnet.
»Es tut mir so leid!« Fi schossen Tränen in die Augen. »Wir haben nur Unglück über Euch gebracht. Egbert hat sein Leben gegeben, um mich zu retten.«
»Mein Gemahl ist nicht tot«, widersprach Loreline. »Doch der Hexenmeister hat ihn verstümmelt.« Sie wies zum Ufer und Fi entdeckte weitere Undinen, die ihre Köpfe aus dem Wasser streckten. Am Ufer waren nicht nur Menschen zu sehen, sondern auch männliche Vertreter des Flussvolkes: grimmige Gestalten mit grüner Haut und Ohrmuscheln, die Flossen ähnelten. Sie sahen völlig anders aus als Nikk und hielten zweizackige Harpunen in den Händen. Zwei von ihnen trugen soeben einen schlaffen Körper zum Fluss, der von den Undinen im Wasser in Empfang genommen wurde.
»Flusskönig Niccuseie hat meinen Ruf vernommen und Hilfe geschickt«, flüsterte Loreline traurig. »Doch es wird sehr lange dauern, bis wir wissen, ob die Gischtweber meines Volkes Egberts Erblindung heilen können. Seine Narben werden vermutlich für immer bleiben.«
»Wo sind Tandarin und der Hexenmeister?«, fragte Fi heiser.
»Ich weiß es nicht.« Die Undine schüttelte bekümmert den Kopf. »Als ich den Puppenmacher zum letzten Mal sah, kämpfte er gegen das magische Feuer. Der Hexenmeister floh, als mein Volk nahte.«
»Hast du mich vor dem Feuer gerettet?«
»Nein, das war niemand von uns«, erklang es hinter ihr. Fi drehte sich um und sah, dass Nikk auf der anderen Seite des Beibootes aufgetaucht war. Seine Hände ruhten auf dem Rand des Bootes und sorgten dafür, dass es nicht allzu sehr auf den Wellen schaukelte. »Dass du noch lebst, ist ehrlich gesagt ein Wunder. Die Wucht der Explosion hat dich weit auf den Fluss geschleudert. Ich habe fast eine halbe Stunde nach dir gesucht und hatte schon keine Hoffnung mehr.«
Ungläubig starrte Fi erst Nikk und dann ihre Hände und Arme an. Doch sie war weitgehend unverletzt. Loreline nahm Fi die Überreste des Füllhorns aus den Armen und ihre Finger glitten prüfend über die blau schimmernde Außenhülle. »Vielleicht hat dich das Füllhorn oder ein Spritzer des Nektars beschützt. Du hast es immerhin davor bewahrt, missbraucht zu werden.« Mit ihren grünen Augen erforschte sie jede Regung in Fis Zügen. »Das könnte auch bedeuten, dass du am Ende zu seinem neuen Besitzer erwählt wurdest.«
»Selbst wenn: Das Füllhorn ist zerschlagen!«, klagte Fi. »Ich hatte so darauf gehofft, uns Morgoya vom Hals zu schaffen. Ich wollte mit seiner Hilfe mein Volk retten, nicht bloß mein armseliges Leben.«
»Vielleicht darf man sich nicht zu viel wünschen«, erwiderte die Undine leise. »Selbst ein Meer aus Träumen hat ein Ufer. Auch ich bin heute erwacht, denn kein Traum währt ewig. Und doch werde ich an meinem festhalten. Und das
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