Der Simulant
besser vor dem Regen zu schützen, könnte man meinen; in Wirklichkeit soll bloß niemand sehen, dass es sich um vulkanisches Tuffgestein handelt.
Der Regen läuft ihm hinten von seinem Dreispitz ru n ter. Die Steine zerreißen ihm die Taschen.
In seinen verschwitzten Sachen und immer so schwer beladen, wird Denny von Tag zu Tag dünner.
So wie er da dauernd etwas herumschleppt, das wie ein Baby aussieht, ist es nur eine Frage der Zeit, bis irgendjemand aus der Nachbarschaft ihm wegen Ki n desmissbrauchs und Vernachlässigung die Bullen auf den Hals hetzt. Die Leute sind ja ganz wild darauf, Eltern als unfähig zu bezeichnen und irgendwelche Kinder ins Pflegeheim zu bringen, das kann ich echt aus eigener Erfahrung sagen.
Jeden Abend, wenn ich von meinen Erstickungstouren nach Hause komme, sitzt Denny mit irgendwelchen neuen Steinen da. Quarz, Achat oder Marmor. Fel d spat, Obsidian oder Tonschiefer.
Jeden Abend, wenn ich mal wieder aus Nullen Helden geformt habe und nach Hause komme, läuft der G e schirrspüler. Ich muss mich erst noch hinsetzen und die Abrechnung machen, die Schecks zusammenzä h len, Dankesbriefe eintüten. Auf meinem Stuhl liegt ein großer Stein. Meine Papiere und Unterlagen auf dem Esszimmertisch sind alle mit Steinen bedeckt.
Am Anfang sage ich noch zu Denny: keine Steine in meinem Zimmer. Er dürfe die Steine anderswo abl e gen. Leg sie in den Flur. Leg sie in die Schränke. Sp ä ter sage ich: »Leg mir wenigstens keine Steine ins Bett.«
»Aber auf der Seite da schläfst du doch sowieso nie«, sagt Denny.
Ich sage: »Darum geht es nicht. Keine Steine in me i nem Bett: Darum geht es.«
Ich komme nach zwei Stunden Gruppentherapie mit Nico oder Leeza oder Tanya nach Hause, und in der Mikrowelle liegen Steine. Im Wäschetrockner liegen Steine. In der Waschmaschine liegen Steine.
Manchmal fängt Denny erst um drei oder vier Uhr morgens an, draußen in der Einfahrt einen neuen Stein abzuspritzen, und manchmal ist der Stein so groß, dass er ihn nur ins Haus wälzen kann. Und dann legt er ihn zu den anderen Steinen im Bad, im Keller, im Zimmer meiner Mutter.
Das ist jetzt Dennys Vollzeitbeschäftigung: Steine nach Hause schleppen.
An Dennys letztem Arbeitstag, dem Tag seiner Ve r bannung, stand Seine Exzellenz, der königliche Stat t halter, vor der Tür des Zollhauses und las aus einem kleinen, in Leder gebundenen Buch etwas vor. Das Buch war so klein, dass es in seinen Händen kaum zu sehen war, aber der Einband war aus schwarzem L e der, das Buch hatte Goldschnitt und ein paar Les e bändchen, die oben heraushingen, ein schwarzes, ein grünes und ein rotes.
»Wie Rauch verweht, so verwehen sie; wie Wachs ze r schmilzt vor dem Feuer«, las der Gouverneur, »so kommen die Gottlosen um vor Gott.«
Denny beugte sich zu mir rüber und sagte: »Das mit dem Rauch und dem Wachs«, sagte Denny, »ich glaub, damit meint er mich.«
Ein Uhr mittags auf dem Marktplatz. Seine Exzellenz Charlie, der königliche Statthalter, stand vor uns, steckte die Nase in das kleine Buch und las daraus vor. Ein kalter Wind zog den Rauch aus den Schor n steinen zur Seite. Die Milchmädchen waren da. Die Flickschuster waren da. Der Schmied war da. Und sie alle, ihre Kleider, ihre Haare, ihr Atem und ihre Per ü cken – alles roch nach Gras. Nach Haschisch. Und ihre Augen waren alle gerötet und verlebt.
Gevatterin Landson und Mistress Plain weinten in ihre Schürzen, aber nur, weil Klagen in ihrem Arbeitsve r trag stand. Ein paar Männer hielten Wache, Musketen in beiden Händen; bereit, Denny in die Wildnis des Parkplatzes hinauszuführen. Die Siedlungsflagge auf dem First des Zollhauses war auf Halbmast gezogen und schlug hin und her. Ein Häuflein Touristen sah sich das Spektakel durch Videokameras an. Sie fraßen Popcorn aus Schachteln, die mutierten Hühner pickten zu ihren Füßen die Krümel auf. Sie lutschten sich Z u ckerwatte von den Fingern.
»Statt mich zu verbannen«, rief Denny, »könntet ihr mich nicht einfach steinigen?« Er sagte: »Also, die Steine wären doch ein nettes Abschiedsgeschenk.«
Als Denny was von »stoned« sagte, zuckten die kapu t ten Siedlertypen alle zusammen. Sie sahen den Go u verneur an, dann sahen sie auf ihre Schuhspitzen, und es dauerte eine Weile, bis das Rot wieder aus ihren Wangen gewichen war.
»Und so übergeben wir seinen Leib der Erde, auf dass er in Fäulnis vergehe … «, las der Gouverneur, aber dann löschte ein über unseren Köpfen zur Landung
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