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Der Simulator

Der Simulator

Titel: Der Simulator Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marco Lalli
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mal wieder gründlich durchchecken lassen.«
    Ob ihn diese Antwort beruhigte, war ihm nicht anzumerken. Jedenfalls fragte er nicht weiter nach. Stattdessen wandte er sich den Zigarren zu, die Karl vor ihm ausgebreitet hatte. Jede einzelne davon prüfte er gründlich mit Fingern und Nase. Schließlich entschied er sich für eine lange, hellbraune kubanische Zigarre, die sicherlich eine dreiviertel Stunde brennen würde. Wir hatten also Zeit. Mit einer kleinen Zeremonie entzündete er sie, nahm einen ersten Zug und richtete dann sichtlich zufrieden seine Aufmerksamkeit wieder auf mich.
    »Also, wo brennt’s?« Als ich ihn fragend ansah, fügte er hinzu: »Na, du wirst mich doch sicherlich nicht angerufen haben, um über die guten, alten Zeiten zu plaudern, die«, er zwinkerte mir zu, »im Übrigen gar nicht so gut waren.« Als ich mit einer Antwort zögerte, fuhr er selbst fort: »Blinzle, stimmt’s? Sein Tod geht dir an die Nieren.«
    Karl hatte ihm seinen Kaffee gebracht, einen riesigen Pott, mit dem er mühelos die nächste Stunde würde überbrücken können. Der Doc nippte vorsichtig daran, dann schüttete er aus einem altmodischen Streuer Unmengen Zucker hinein. Der Alkohol, der allgegenwärtig um uns herumstand, schien ihn völlig kalt zu lassen, und ich bewunderte die Disziplin, mit der er auch an diesem Ort den Versuchungen widerstand.
    »Wir müssen alle sterben«, sagte er und betrachtete lächelnd die Zigarre in seiner Hand, »die einen früher, die anderen später. Und glaub’ mir, in einer Million Jahren ist es völlig wurscht, ob du heute gestorben bist oder erst in zwanzig Jahren.«
    Blinzle wäre das sicherlich nur ein schwacher Trost gewesen. »Nein«, ich drückte den Rest meiner ersten Kool im schweren, gläsernen Aschenbecher aus, »mir geht es mehr um die Umstände seines Todes.«
    »Was ist damit?«
    »Ich bezweifle, dass es ein Unfall war.«
    »Sondern?«
    »Mord, beispielsweise.«
    »Mord? Wie kommst du auf die Idee?«
    »Blinzle hatte Vorahnungen. Er fühlte sich bedroht, verfolgt...«
    Mein ehemaliger Lehrer strich sich über die Bartstoppeln. »Das sieht ihm gar nicht ähnlich.« Ich nickte zustimmend. »Und dennoch, wer sollte Interesse gehabt haben, ihn aus dem Weg zu räumen? Kowalski? Aus welchem Grund?«
    »Sie waren verschiedener Ansicht über die Verwendung des Simulators. Und das ist noch vorsichtig ausgedrückt...«
    »Ich kenne die Geschichte«, unterbrach mich Doc Schmitt, »und ich glaube nicht daran. Blinzle hat immer gebremst, hat immer Skrupel gehabt. Und, na klar, Kowalski ist ein Vollblutunternehmer, so skrupellos, wie man nur sein kann, ohne im Gefängnis zu landen. Aber ein Mörder?« Er schüttelte den Kopf. »Ein Mörder ist er nicht.« Er klopfte vorsichtig einen Teil der Asche von seiner Zigarre ab. Dann verlagerte er sein Gewicht auf den anderen Fuß und drehte sich zu mir. Wir standen noch immer etwas verloren an der Theke. »Nein, Kowalski ist kein Mörder.«
    Ich nahm einen Schluck von meinem Whisky. Er brannte mir die Speiseröhre hinunter wie flüssige Lava. Im Trinken war ich genauso ungeübt wie im Rauchen. »Aber er hat jetzt freie Bahn«, wandte ich ein. »Blinzles Anteil fällt zwar seiner Tochter zu, aber sie wird zu einer stillen Gesellschafterin ohne jeglichen Einfluss.«
    »Marc«, er trat ganz nahe an mich heran, »wenn ich dir einen Rat geben darf – und du wolltest doch einen Rat, nicht wahr? – pinkel Kowalski nicht ans Bein. Er ist eine Nummer zu groß für dich. Du hast dich in irgendwas verrannt, das keinerlei Bezug zur Wirklichkeit hat. Willst du dafür wirklich deine Zukunft aufs Spiel setzen? Wo sind deine Beweise? Mit deinem Verdacht stehst du ganz allein auf weiter Flur.«
    »Aber auch Bogdan hat erwähnt...«
    »Wer ist Bogdan?«
    Ich starrte ihn an. Auch er konnte sich an keinen Bogdan erinnern. Es war fast so, als hätte Bogdan Draganski niemals existiert.
    »Warte!« Mir war etwas eingefallen. Auf der Anrichte an der gegenüberliegenden Wand standen die Pokale. Darunter war auch der Wanderpokal für den Gewinner des jährlichen Holo-Schachturniers. Vor nicht einmal drei Monaten hatte Bogdan die kneipeninterne Meisterschaft mit einem hauchdünnen Vorsprung vor meinem ehemaligen Lehrer für sich entschieden. Der eingravierte Namen war Beweis genug für seine Existenz. Ich nahm das schwere Ding in die Hand und suchte die letzte Eintragung. Noch deutlich hob sich die frische Gravur hell im sonst schmutziggelben Messing ab. Dr. Werner

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