Der Simulator
Bürgerlichen Mitte waren harmonie-und sicherheitsbedacht. Obwohl mir Bogdans Testergebnisse nie vorgelegen hatten, zweifelte ich nicht daran, dass auch er ein BÜM gewesen war.
Viele Parallelen also, Beruf, Sinex-Milieu und natürlich der Vornamen. Aus Draganski wird ein Dragan. Konnte das alles Zufall sein?
»Wo steht, wer ihn programmiert hat?«
»Nicht in der Akte, Chef. Aber ich habe eine Liste. Moment.« Seine Finger huschten über den Schirm. »Aha. Blinzle hat ihn persönlich programmiert. Vor etwa drei Monaten.«
Dass Blinzle Reaktionseinheiten selbst programmierte, war nicht ungewöhnlich. Auch dass er sich ein lebendes Vorbild dafür gesucht hatte, mochte vorgekommen sein. Auf jeden Fall hatte ich jetzt den Beweis, dass Bogdan Draganski tatsächlich existiert hatte. Ich verabschiedete mich von den Technikern und fuhr nach Hause.
Doch schon in der S-Bahn kamen mir erste Zweifel. Was bewies die Tatsache, dass Blinzle jemanden programmiert hatte, den ich wiederzuerkennen glaubte? Vielleicht hatte ich Bogdan/Dragan bei einem früheren Besuch im Simulator gesehen. Unbewusst wahrgenommen vielmehr. Eine unterschwellige Erinnerung, die ich dann fälschlicherweise in unserer Wirklichkeit angesiedelt hatte. Auch der Dreher im Namen konnte eine unbewusste Fehlleistung meinerseits gewesen sein.
So war meine Euphorie über den Fund schnell einer umfassenden Ernüchterung gewichen. Immer, wenn ich einem Zipfel der Wahrheit habhaft zu werden glaubte, stand ich am Ende mit leeren Händen da. Fakten wurden zu Illusionen, hieb-und stichfeste Beweise zu Ausgeburten meiner Phantasie. An was konnte ich glauben, wem vertrauen, wenn ich nicht einmal auf mich selbst zählen konnte?
Tief entmutigt stieg ich bereits in Heidelberg aus. Einem Interviewer, der mich auf dem Bahngleis stellte, drückte ich wortlos zwanzig Neue Euro in die Hand. Lieber wollte ich jetzt eine Geldstrafe bezahlen, als ein hirnloses Interview über mich ergehen zu lassen.
Doch der Interviewer lief mir hinterher, um mir die amtliche Quittung in die Hand zu drücken. Ich wollte den Vordruck bereits zerknüllen, als mir eine handschriftliche Notiz ins Auge sprang. Vielleicht fiel sie mir auf, weil sie in roter Schrift geschrieben war. ‚Hören Sie auf, solange noch Zeit ist! Das ist die letzte Warnung’, las ich.
Für einen Moment stand ich wie versteinert da, dann lief ich zurück auf der Suche nach dem graugekleideten Mann. Doch der war in der Menschenmenge verschwunden.
Außer Atem blieb ich stehen. Ich betrachtete noch einmal die Quittung. Der rotgeschrieben Satz stand noch immer da. Das beruhigte mich ein wenig. Ich strich die dünne Plastikfolie glatt und steckte sie in die Brieftasche. Niemand sollte behaupten, ich hätte mir auch diese Nachricht eingebildet.
Doch von wem war die Botschaft, beziehungsweise die Warnung oder Drohung? Und mit was sollte ich aufhören? Die naheliegende Antwort lautete, dass die Interviewer mich aus dem Weg räumen würden, wenn ich meine Arbeit am Simulator nicht einstellte. Vielleicht gab es eine militante Gruppe unter ihnen, eine terroristische Zelle. Ausgeschlossen war das nicht. Hatten sie auch Blinzle aus dem Weg geräumt? Waren sie verantwortlich für den Mordanschlag mit dem E-Bus? Kaum vorstellbar, dass sie über eine solche Macht verfügten.
Hatte ich vorgehabt, mich so schnell wie möglich in die Schwarze Zigarre zu begeben, um mich dort nach allen Regeln der Kunst zu betrinken, begann mein Entschluss jetzt zu wanken. Ich konnte mir lebhaft vorstellen, wie ich mich danach fühlen würde. Ein ausgewachsener Kater war in meinem gegenwärtigen Zustand das letzte, was mir weiterhelfen würde. Stattdessen rief ich meinen alten Lehrer an. Er war der einzige, dem ich mich anvertrauen konnte. Samantha vielleicht ausgenommen, auch wenn sie mir bei unserem letzten Zusammentreffen wenig zugänglich erschienen war.
Werner Schmitt schien sich um mich Sorgen zu machen. Wir hatten uns in den vergangenen Jahren so selten gesehen, dass mein erneuter Wunsch, ihn zu sprechen, Ausdruck einer besonderen Notlage sein musste. Und so war es ja auch.
Ich begleitete ihn in seine riesige Küche. Dort stand ein altertümlicher Kachelofen, den er, dem Geruch nach zu urteilen, mit echtem biologischem Holz befeuerte. Kaum vorstellbar, dass dies mit der letzten Emissionsverordnung in Übereinstimmung zu bringen war. Der Doc war gewiss nicht in der Lage gewesen, die Kosten für die notwendige Umrüstung aufzubringen.
Wenn er
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