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Der Skandal der Vielfalt - Geschichte und Konzepte des Multikulturalismus

Der Skandal der Vielfalt - Geschichte und Konzepte des Multikulturalismus

Titel: Der Skandal der Vielfalt - Geschichte und Konzepte des Multikulturalismus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker M. Heins
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present age of diversity is not whether the accommodation of different cultures can conflict with the protection of certain members’ citizenship rights. Undeniably, it often does. The mere recognition of this fact represents, however, only the initial stage in any serious rethinking of the tangled dynamics inhering between the group, the state, and the individual. […] We need to develop a conception of differentiated citizenship which is guided by an ambitiously innovative principle: one that strives for the reduction of injustice between groups, together with the enhancement of justice within them.« (Ebd.: 4)
    Zugleich greift sie die Inkonsistenz des Liberalismus an, die darin besteht, dass liberale Feministinnen die Loyalität zum Beispiel von orthodoxen Jüdinnen und Musliminnen zu ihren jeweiligen kulturellen Bezugsgruppen nur als Ausdruck ideologischer Verblendung begreifen können, da diese Gruppen als strukturell frauenfeindlich angesehen werden. Die Missachtung von partikularen Bindungen mündet in eine Haltung der Bevormundung von Frauen, um deren Befreiung es doch eigentlich gehen soll. Shachar sieht ein »Paradox« (ebd.: 3) darin, dass der Multikulturalismus zu Recht bedrängte minorisierte Gruppen schützt, deren weibliche Angehörige dann gelegentlich ihrerseits vor den Strukturen dieser Gruppen geschützt werden müssen. Dies nennt Shachar das » paradox of multicultural vulnerability «. Im Zentrum ihrer Überlegungen steht der Versuch, diese paradoxe Verschachtelung von Verwundbarkeiten und Schutzbedürfnissen durch institutionelle Innovationen aufzulösen, ohne in die Falle eines autoritären Liberalismus oder Zwangssäkularismus zu treten.
    Alle zentralen Konzepte der »ersten Welle« der Multikulturalismus-Diskussion tauchen bei Shachar in modifizierter Form wieder auf. Dies gilt für Tullys Ethik des Zuhörens und seine These, dass die Lösung multikultureller Konflikte nicht selbst eine nur kulturelle Aufgabe sein kann, sondern die Erfindung neuer regulativer Institutionen notwendig macht; für Taylors Begriff kultureller Authentizität, den Shachar nicht einfach als Artikulation einer »inneren Stimme« gelten lassen will, sondern als das Ergebnis gruppeninterner Deutungsleistungen und Machtprozesse interpretiert; sowie vor allem für Kymlickas Versuch, wünschenswerte kulturelle Schutzmaßnahmen für Minderheiten zu unterscheiden von kritikwürdigen internen Restriktionen der Freiheit der Angehörigen dieser Minderheiten.
    Am wichtigsten ist die Auseinandersetzung mit Kymlicka, gegen den Shachar einen aus meiner Sicht schlagenden Einwand formuliert. Sie kann plausibel machen, dass Kymlicka das Problem illiberaler Kulturen, die von einer Politik des Multikulturalismus profitieren, zwar richtig erkennt, aber nichts zu seiner Lösung beiträgt. Wer dafür plädiert, zum Beispiel einer indianischen Ethnie innerhalb eines demokratischen Staates bestimmte Rechte auf eigene Verwaltung, Rechtsprechung und territoriale Kontrolle einzuräumen, muss in Kauf nehmen, dass die Ausübung dieser kollektiven Rechte in Widerspruch geraten kann zu den Rechten, die Mitglieder jener Ethnie als Bürger des Staates genießen, dem sie ebenfalls angehören. Mit anderen Worten: Die rechtlichen Vollmachten, die Minderheiten beanspruchen, um sich nach außen vor dem Assimilationsdruck der übrigen Gesellschaft zu schützen, sind oftmals dieselben, die sie einsetzen, um nach innen individuelle Mitglieder zu kontrollieren und manchmal schlechter zu stellen, als sie es nach den Standards der Mehrheitsgesellschaft verdient hätten (ebd.: 29f.). So werden zum Beispiel die weiblichen Angehörigen des südafrikanischen Volkes der Xhosa im wiederbelebten traditionellen Gerichtswesen des Landes für Dinge bestraft, für die sie außerhalb der Stammesgrenzen, als Bürgerinnen der Republik Südafrika, überhaupt nicht belangt werden könnten (vgl. Polgreen 2012).
    Auch Kymlicka plädiert zwar keineswegs für kulturellen Artenschutz und setzt auf die interne Reformfähigkeit von kulturellen Gruppen, aber er kann nicht zeigen, wie diese unterstellte Reformfähigkeit aktiviert werden soll. Nicht nur privilegiert seine Version des Multikulturalismus den externen Schutz von ethnischen Minderheiten und Einwandererkulturen im Verhältnis zur Mehrheitsgesellschaft; dieser externe Schutz wird zudem durch die Wahl der fragwürdigen Analogie zwischen Minderheiten und Staaten trivialisiert. Kymlickas unrealistisch starre und irreführende

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