Der Skandal (German Edition)
wissen doch selbst, wie oft das Tonband bei Verhören ausgeschaltet wird!« Und als Muller nichts darauf erwidert, muss sie noch eins draufsetzen: »Übrigens, wie geht es Ihrem Sohn? Ich habe Big Dee gebeten, ihn nicht ganz so hart anzufassen.«
Muller setzt ein frostiges Lächeln auf. So eisig und glatt, dass jedes Argument daran abgleiten würde. »Sie haben Ihren Deal bekommen, Andersson, nicht wahr? Hat Ihnen Big Dee inzwischen Informationen gegeben?«
»Informationen? Sie haben doch gerade gesagt, der Fall ist abgeschlossen«, antwortet Christina herausfordernd.
Muller sieht sie nur an. »Das ist er«, sagt sie schließlich. »Es sei denn, wir finden neue Beweise.«
Christina kann dieses Um-den-heißen-Brei-Herumgerede nicht länger ertragen. »Hat er es getan, oder hat er es nicht getan?«
Muller steht auf und geht zum Fenster. Sie blickt nach draußen – als gäbe es dort etwas anderes zu sehen als grauen Beton.
Währenddessen fragt Christina sich, welches Spiel Muller spielt.
Da dreht Muller sich wieder um. »Die Angehörigen von Rizal sollten darüber informiert werden, dass sie die Möglichkeit haben, eine Beschwerde gegen Brewer vorzubringen.«
Ach, so läuft es also, denkt Christina. »Sie wollen Brewer eine interne Untersuchung anhängen?«
»Nun, immerhin haben die Eltern ihren Sohn verloren, und das ist bedauerlicherweise in meiner Abteilung passiert.« Muller macht eine Pause und fixiert Christina mit ihrem bekannt intensiven Blick. »Seine Mutter wartet übrigens schon.«
So einfach wie gestern Abend mache ich es dir heute nicht, denkt Christina, sie legt ihre Marke und die Dienstwaffe auf den Tisch.
»Sie wollen nicht, dass ein Detective aus Ihrem Team den Lieutenant anschwärzt. Und ich bin ja draußen. Stimmt’s? Suchen Sie sich einen anderen dafür, Captain!«
Christina steht auf und geht zur Tür.
»Warten Sie«, sagt Muller, und Christina dreht sich um.
»Ich habe das Gefühl«, sagt Muller mit gesenkter Stimme, »dass sich hinter meinem Rücken irgendwas abspielt.«
»Eine Intrige? Gegen Sie?« Christina weiß nicht, ob das nicht wieder so eine Taktik von Muller ist.
»Offenbar gibt es Personen«, sagt Muller, »die sehr daran interessiert sind, dass dieser Fall nicht aufgeklärt wird.«
»Der Mord an meinem Bruder? Welche Personen?«, fragt Christina argwöhnisch.
»Das, was Ihnen gestern Nacht passiert ist, war kein Zufall. Darüber sind wir uns doch einig, oder?«, sagt Muller, immer noch mit diesem Blick, dem Christina nicht ausweichen kann.
Sie schluckt. Ihr Hals ist trocken, als hätte sie Staub eingeatmet.
»Wir müssen herausfinden, wer dahintersteckt«, sagt Muller entschlossen.
»Wir?« Christina folgt Mullers Blick zur Dienstwaffe und zu der Marke auf dem Schreibtisch. Und da begreift sie.
Wenn sie herausfindet, wer verhindern will, dass Tims wahrer Mörder gefunden wird, dann findet sie auch denjenigen, der Mullers Karriere stoppen will. Genauso denkt Muller – strategisch.
Und bleibt ihr eine Wahl? Eine Hand wäscht die andere, so funktioniert es, das weiß sie doch. Gut …
»Meinen Ausweis behalte ich aber«, sagt Christina. Muller zögert, dann gibt sie widerstrebend nach. »Ich will Sie aus dem Schussfeld haben«, sagt Muller noch. »Das verstehen Sie doch, oder?«
»Vollkommen.«
»Rizals Mutter wartet unten.«
In diesem Augenblick klingelt Christinas Handy. Es ist Dr. Joffe, und die Nachricht, die er hat, jagt ihr einen Stich ins Herz.
Im ersten Moment hat Harpole geglaubt, es sind Äste, festgefroren im Eis. Aber dann bemerkt er, dass sie sich bewegen. Und er sieht ihre Hälse und wie sie aufeinander zugehen. Er weiß, dass die kanadischen Wildgänse um diese Jahreszeit, wenn hier die Seen zugefroren sind, normalerweise schon in ihrem nördlicheren Quartier sind, wo sie Zugang zum Meer haben.
Haben sie sich verirrt? Er bleibt eine Weile am Zaun stehen und betrachtet die Schneefläche mit den Wildgänsen. Es beunruhigt ihn, dass die Gänse hier sind und nicht, wie es natürlich wäre, bei ihren Artgenossen in Kanada. Ob das ein Zeichen ist?
»Hal?« Keith ruft. »Komm mal rüber.«
Harpole reißt sich von dem Anblick der Wildgänse los. Nachdenklich geht er über die Straße zum Bürocontainer.
»Was gibt’s, Keith?«
»Die Sache mit dem Erdbeben gefällt mir nicht. Ich hab alles gecheckt, wir haben keine Schäden. Trotzdem.« Keith blinzelt in den schneewolkenverhangenen Himmel.
»Wenn es keine Schäden gibt, müssen wir uns keine
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