Der Sklave von Midkemia
verbeugte sich und ging. Die Lady saß immer noch tief in Gedanken versunken, bis Kevin sie mit einer Frage in die Gegenwart zurückholte. »Reisen wir irgendwo hin?«
Mara blickte auf und sah in seine unergründlich tiefen, blauen Augen. »Der Kriegsherr veranstaltet eine große Feier zu Ehren des Kaisers. Wir werden nächste Woche zur Heiligen Stadt aufbrechen.«
Ihre Neuigkeit wurde gelassen aufgenommen, selbst von dem sonst eher lebhaften Ayaki. In den Monaten seit ihrer Rückkehr aus Dustan hatte sich das alltägliche Leben wieder eingestellt. Mara hatte sich Kevins Wünschen gefügt und das schwere Los der Midkemier etwas gemildert. Versorgt mit besserem Essen und neuen Unterkünften, frischen Laken und einem nicht ganz so harten Arbeitsplan, hatte sich Patricks Ungeduld tatsächlich etwas gelegt. Doch die Kluft zwischen Kevin und seinen Landsleuten blieb, ließ sich auch durch noch so viele gegenteilige Behauptungen nicht überbrücken. Zwar war von Flucht nicht mehr die Rede, doch ständig dachten die anderen Gefangenen an Freiheit; sie drängten Kevin nicht, aber sie wußten, daß er sie nur aus Pflichtgefühl besuchte. Niemals, solange er Maras Bett teilte, würde er zu ihnen gehören.
Ayaki trat ihm in den Rücken. Unsanft aus den unangenehmen Gedanken gerissen, täuschte Kevin einen Schmerzensschrei vor. »Jemand ist hungrig. Ich denke, es ist das beste, ich bringe den kleinen Lord in die Küche, damit er die Speisekammer plündern kann.«
Mara lachte und ließ sie gehen. Kevin griff nach Ayakis Handgelenken, stellte den Jungen schwungvoll über seinen Kopf hinweg auf den Boden und gab ihm einen kleinen Klaps auf den Hintern. Wieder setzte der zukünftige Lord der Acoma zu wildem Kampfgeschrei an und raste auf das Herrenhaus zu. Als Kevin beinahe ebenso würdelos hinter ihm her raste, schüttelte die Lady der Acoma den Kopf. »Nacoya haßt es, wenn die beiden in der Küche essen«, sagte sie zu sich selbst.
Die Vögel in den Baumkronen nahmen ihr unterbrochenes Lied wieder auf. Mara ließ ihre Gedanken schweifen. Sie litt unter dem Druck, der mit der Herrschaft verbunden war, und hatte vor kurzem wieder daran gedacht, Hokanus Interesse neu zu beleben. Die Shinzawai hatten ihre geschwächte Position im Rat wieder stärken können, indem sie in Almechos Kriegsallianz zurückgekehrt waren. Das machte eine Verbindung mit ihnen für die Acoma noch wünschenswerter. Die Radikalen in der Fortschrittspartei diskutierten im Rat so laut über sozialen Wandel, daß das abtrünnige Verhalten der Partei des Blauen Rades möglicherweise gar nicht besprochen werden würde. Doch Mara konnte sich des Gefühls nicht erwehren, daß etwas bevorstand. Wie auch immer, zumindest konnte sie mit der Ausrede versuchen, Hokanu ein paar Informationen zu entlocken.
Als sie bemerkte, wie sehr sich ihre romantischen und politischen Gedanken vermischten, seufzte Mara traurig.
»Mylady?« Nacoya war in den Garten gekommen und betrachtete ihre Herrin besorgt. »Ist etwas nicht in Ordnung?«
Mara winkte die alte Frau zu sich auf die Matte, wo Arakasi gesessen hatte. »Ich werde … müde, Nacoya.«
Nacoya kniete sich langsam nieder, ihre alten, schmerzenden Knochen machten inzwischen jede Bewegung zur Qual. Mara vergaß das ausgelassene Toben von Ayaki und Kevin, als die alte Amme ihre gebrechlichen Hände um Maras legte. »Tochter, was bedrückt Euer Herz?«
Mara zog ihre Hand zurück. Als eine der Dienerinnen herantrat, um Arakasis Tablett mit Erfrischungen wegzunehmen, nahm sie schnell noch etwas Brot und warf es auf den Pfad. Sofort schossen zwei kleine Vögel herab und pickten nach den Krumen. »Erst dachte ich daran, Hokanu den Hof zu machen, da ein Gatte die Last auf meinen Schultern etwas mindern könnte. Doch dann wünschte ich mir plötzlich, ihm mit dieser Ausrede Informationen über die Partei des Blauen Rades zu entlocken. Das macht mich traurig, Nacoya, denn Hokanu ist ein zu guter Mann, als daß ich ihn auf solche Weise benutzen sollte.«
Nacoya, die sich jetzt eher in ihrer früheren Rolle als Amme denn der einer Ersten Beraterin fand, nickte verständnisvoll. »Euer Herz hat keinen Platz für Romantik, Tochter. Ob zum Guten oder zum Schlechten, all Eure Leidenschaft gehört Kevin.«
Mara biß sich auf die Lippe, während die Vögel sich um die letzten Brotkrumen stritten. Jahrelang hatte ihr Haushalt zu dem geschwiegen, was dennoch offensichtlich war: daß ihre Liebe zu dem Barbaren mehr bedeutete als das
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