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Der Sklave von Midkemia

Der Sklave von Midkemia

Titel: Der Sklave von Midkemia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raymond E. Feist
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würde ich jetzt nicht Eure … Gastfreundschaft genießen. Hätte ich eine Wahl gehabt, wäre ich bei meiner Familie.«
    Mara schüttelte den Kopf. Dies war nicht die Antwort, auf die sie gewartet hatte. »Möglicherweise verstehen wir uns nicht, weil du die tsuranische Sprache nur unvollkommen beherrschst. Laß mich die Frage anders stellen: Als du gefangengenommen wurdest, gab es da nicht einen Augenblick, in dem du dir das Leben hättest nehmen können, anstatt dich gefangennehmen zu lassen?«
    Kevin zögerte einen Moment, als dächte er über die Frage nach. »Ich schätze, ja. Aber warum sollte ich mich selbst umbringen?«
    »Um der Ehre willen!« stieß Mara aus, ohne nachzudenken.
    Kevin lachte bitter. »Was nützt einem toten Mann die Ehre?«
    Mara blinzelte, als würde ein starkes Licht in einem dunklen Raum plötzlich ihre Augen blenden. »Ehre ist… alles«, sagte sie. Es erschien ihr unvorstellbar, daß jemand dies in Zweifel ziehen konnte. »Ehre macht das Leben erträglich. Sie gibt allem einen Sinn. Wofür sonst leben wir?«
    Kevin warf in einer verzweifelten Geste die Arme in die Luft. »Wofür wohl? Um das Leben zu genießen! Um die Gesellschaft von Freunden schätzen zu lernen, um Männern zu dienen, die wir bewundern. Und in diesem Fall, um zu fliehen und nach Hause zurückzukehren, was sonst?«
    »Zu fliehen!« Mara war zutiefst schockiert und konnte diese Tatsache nicht verbergen. Sie brauchte einen Augenblick zum Nachdenken. Diese Leute waren keine Tsurani, erinnerte sie sich; die Verhaltensregeln, nach denen die Sklaven auf Kelewan an den Dienst gebunden waren, entsprachen nicht denen auf der anderen Seite des Spalts. Die Lady der Acoma fragte sich auch, ob bereits andere in ihrer Kultur herausgefunden hatten, wie sehr sich die Midkemier von ihnen unterschieden. Hokanu von den Shinzawai fiel ihr ein. Mara nahm sich vor, ihm bei dem bevorstehenden Besuch ein paar Informationen über Lord Kamatsus Interesse an den Barbaren zu entlocken. Dann überlegte sie, ob unter den seltsamen Kenntnissen oder Ideen dieses Kevin aus Zûn möglicherweise welche waren, die sie gegen ihre Feinde einsetzen konnte.
    »Du mußt mir mehr von den Ländern jenseits des Spalts berichten«, verlangte sie abrupt.
    Kevin stieß einen gequälten Seufzer aus, der von mehr als nur den Striemen und blauen Flecken herrührte. »Ihr seid eine Frau voller Widersprüche«, sagte er vorsichtig. »Ihr laßt mich peitschen, in einen Viehtrog stecken, dann mit Tüchern abtrocknen, die zu Euren besten zählen müssen. Und jetzt fordert Ihr mich zum Sprechen auf, ohne mir zunächst etwas zu trinken anzubieten, damit ich meinen Hals ein wenig anfeuchten kann.«
    »Die Frage deines Wohlergehens oder den Mangel an solchem zu diskutieren zählt nicht zu deinen Rechten«, sagte Mara eisig. »Du beschmutzt ein Kissen mit deinem Blut, das mehr gekostet hat, als ich auf dem freien Markt für dich erhalten würde, also sei vorsichtig mit dem, was du über meine Erwägungen sagst.«
    Kevin zog tadelnd die Augenbrauen empor. Er wollte noch mehr sagen, doch in diesem Augenblick scharrte jemand an dem Laden zum Arbeitszimmer der Lady.
    Da die Tsurani, wenn sie die Aufmerksamkeit ihrer Lady auf sich ziehen wollten, dies immer in Form eines höflichen Klopfens taten, reagierte Mara nicht sofort. Wer immer da draußen wartete, schien davon jedoch völlig ungerührt zu sein. Der Holzrahmen glitt zur Seite, und der Kopf eines Sklaven erschien; es war der Glatzköpfige, der auf dem Sklavenmarkt geholfen hatte, die Kleidung verschwinden zu lassen. »Kevin?« fragte er ruhig und anscheinend ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, daß er in die Gegenwart einer Edlen eingedrungen war, ohne die Erlaubnis erhalten zu haben oder dazu aufgefordert worden zu sein. »Ist alles in Ordnung, Alter?«
    Mara hielt die Luft an, als der Rothaarige mit einem zustimmenden Nicken antwortete. Der Glatzköpfige lächelte Mara an, dann zog er sich ohne Aufhebens zurück. Mara war einen langen Augenblick vollkommen sprachlos. In der gesamten Geschichte ihrer Ahnen war es nicht ein einziges Mal vorgekommen, daß ein Sklave die Frechheit besessen hatte, ohne Aufforderung in die Gemächer seines Lords einzudringen, eine private Unterhaltung mit einem anderen Sklaven zu führen und dann ohne Erlaubnis und nur mit der leisesten Anerkennung der Gegenwart seines rechtmäßigen Herrschers wieder zu verschwinden. Mara zügelte ihren spontanen Impuls, ihn bestrafen zu lassen, denn

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