Der Sklave von Midkemia
gebieterischen Geste. »Jetzt schick nach den Dienerinnen, damit die Platten und Becher abgeräumt werden. Ich werde mich mit meinen Ratgebern treffen, und Arakasi wird über Lord Desio von den Minwanabi berichten.«
Nacoya verbeugte sich, doch als eine Dienerin erschien und den Tisch abzuräumen begann, betrachtete die Erste Beraterin ihre Herrin eingehend. Ein wehmütiges Lächeln huschte kurz über Maras Lippen. Nacoya begriff intuitiv, daß Mara nicht über das bevorstehende Treffen nachdachte, sondern über den bronzehäutigen, rothaarigen Barbaren, mit dem sie den ganzen Nachmittag verbracht hatte. Der Glanz in Maras Augen und die halb aus Aufregung, halb aus Furcht geballten Hände verrieten die Lady Die Furcht vor Schmerz und Entwürdigung – Erinnerungen an einen brutalen und wenig einfühlsamen Ehemann – stritt mit neuen Begierden. Nacoya mochte zwar alt sein, aber sie erinnerte sich nur zu gut an die Leidenschaften vergangener Zeiten; vor zwanzig Jahren hätte sie sogar selbst ernsthaft darüber nachgedacht, sich den Sklaven in ihr Schlafgemach bringen zu lassen. Sie war sich Kevins Attraktivität bewußt, und mit dem deutlichen Gespür für bevorstehenden Ärger seufzte die alte Amme still in sich hinein. Mara hatte sich als schlaue Spielerin des Großen Spieles erwiesen, aber sie hatte noch immer die grundsätzlichsten Dinge in der Beziehung zwischen einem Mann und einer Frau nicht verstanden. Sie wurde bereits belagert und hatte noch immer keine Ahnung, daß ein Angriff aus dieser Ecke überhaupt möglich war.
Die ehemalige Amme unterdrückte Tränen der Sorge und bereitete sich auf das bevorstehende Treffen vor. Wenn Maras Welt schon wegen einer überraschenden Leidenschaft aus den Fugen geraten mußte, hatte sie sich den denkbar schlechtesten Zeitpunkt dafür ausgesucht.
Vier
Schwüre
Die Hörner erklangen.
Das Dröhnen von Trommeln mischte sich in den Ton, als die versammelte Menge sich zunächst niederkniete und verneigte und sich dann in der typischen, alten tsuranischen Weise auf die Fersen setzte und lauschte. Die Sitzordnung entsprach dem gesellschaftlichen Rang der Anwesenden, die statt feierlicher Kleider weiße Gewänder mit einer schwarzen und orangefarbenen Schärpe trugen und auf die Ankunft des neuen Lords der Minwanabi warteten.
Die große Halle der Minwanabi war einzigartig im ganzen Kaiserreich; irgendeiner der früheren Lords hatte einen genialen Architekten engagiert, einen Künstler von unübertroffener Brillanz. Niemand konnte sich dem ehrfürchtigen Staunen beim Anblick der Konstruktion entziehen, die eine überwältigende Bequemlichkeit in einem Gebäude ermöglichte, das zu einer Festung ausgebaut worden war.
Man hatte den Hügel, der für das Herrenhaus ausgewählt worden war, ausgehöhlt und Bögen im oberen Drittel eingesetzt, so daß dieser Teil sich zum Himmel hin öffnete und Licht und Luft hereinströmen konnten. Läden dienten zum Schutz vor dem unberechenbaren Wetter, doch im Augenblick waren sie zurückgezogen, und so erstrahlte die Halle im hellen Licht der Mittagssonne. Der andere Teil der Halle war in den Berg hineingeschnitten. Das Hauptzimmer hatte einen wunderbar gemusterten Boden und maß volle dreihundert Schritte vom einzigen Eingang auf der einen Seite bis zum Podest auf der anderen. Hier würde Desio auf einem Thron aus geschliffenem Achat sitzen und die Treueschwüre der Gefolgsleute und Vasallen entgegennehmen, die er zu seinen Ehren um sich versammelt hatte.
Wachen der Minwanabi standen in Zeremonienrüstungen bereit; ihre schwarzlackierten Helme und die orangefarbenen Federbüsche ihrer Offiziere bildeten eine imposante Doppelreihe auf der Galerie, die sich rings um die Halle zog. Die am Eingang stehenden Musiker beendeten ihre Fanfare und senkten die Hörner und Trommeln. Stille breitete sich aus.
Ein schneidender Ton zerriß die Stille. Eine Tür wurde zur Seite geschoben, und ein Priester Turakamus, des Roten Gottes des Todes, betrat leichtfüßig mit einigen Drehungen die Halle. Zwischen den Lippen hielt er eine Knochenpfeife, ein Relikt aus längst vergangener Zeit. Ein mit Federn besetzter Umhang reichte bis zu den Ellbogen hinab, und sein nackter Körper war zunächst schwarz und dann mit roten Streifen bemalt worden, so daß er wie ein blutgetränktes Skelett aussah, als er seinem göttlichen Herrn mit dem Tanz huldigte. Die Haare klebten eingefettet am Schädel, doch die Enden waren m zwei Zöpfe geflochten, an denen Kordeln
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