Der Sklave von Midkemia
Entscheidung. »Laßt uns allein«, befahl sie den Wachen. Sie ließen den Barbaren los, verbeugten sich und gingen hinaus auf den Korridor.
Der Barbar rieb sich die Stellen an den Handgelenken, wo der feste Griff der Wachen den Blutkreislauf unterbrochen hatte. Der Sklave, der versuchte, ihn abzutrocknen, schien ihn zu verärgern, und nach einem Blick auf Mara streckte der Midkemier seine Hand aus und nahm ein Tuch vom Stapel, um die Aufgabe selbst zu beenden. Als er fertig war, standen seine Haare zu Berge, und der Sklave sah bestürzt auf die blutverschmierten, feuchten Tücher, die sich zu Füßen des Barbaren türmten.
»Gib sie den Wäscherinnen«, sagte Mara. Sie bedeutete dem Rothaarigen, sich ein Kissen auszusuchen und Platz zu nehmen.
Sie studierte das Gesicht des Barbaren mit einem Blick, der ebenso durchdringend war wie seiner. Plötzlich hatte sie das Gefühl, als würde ihr der Boden unter den Füßen weggezogen. Irgend etwas an diesem Mann brachte sie durcheinander. Sie zuckte innerlich zusammen, als sie den Grund erkannte: Sie betrachtete ihn immer noch als Mann! Sklaven zählten jedoch zum Viehbestand, sie waren keine Personen. Wieso brachte dieser hier sie dazu, sich … unsicher zu fühlen? Die Erfahrung in ihrer Rolle als Herrscherin half ihr, die Maske der Beherrschung aufrechtzuerhalten. Sie fühlte sich aufgefordert herauszufinden, wodurch der Barbar sie dazu brachte, seine gesellschaftliche Position zu vergessen. Sie zwang sich zur Ruhe. »Ich war möglicherweise etwas voreilig.« Als der Diener die Tücher zusammenraffte und davoneilte, fuhr sie fort: »Bei näherer Betrachtung der Angelegenheit sieht es so aus, als wäre mein Befehl, dich auspeitschen zu lassen, ungerechtfertigt gewesen.«
Der Rothaarige war von diesen Worten verblüfft, doch er überspielte die Reaktion geschickt und ließ sich vorsichtig auf einem der Kissen nieder. Die Narbe auf der linken Wange, eine Erinnerung an den Aufseher des Sklavenmarktes, trübte sein Erscheinungsbild kaum; ganz im Gegenteil trug der Makel als Kontrast zu seinem guten Aussehen bei, und der volle Bart war eine Besonderheit, die tsuranische Freie nicht kannten, da sie sich nach alter Sitte rasierten.
»Sklave«, befahl Mara, »ich möchte mehr über das Land erfahren, aus dem du stammst.«
»Ich habe einen Namen«, entgegnete der Rothaarige mit tiefer Stimme, die jetzt vor Feindseligkeit knisterte. »Ich bin Kevin aus der Stadt Zûn.«
Mara spürte Ärger in sich aufsteigen. »In deiner eigenen Welt magst du dich einmal zu den Menschen gezählt haben, doch jetzt bist du ein Sklave. Und ein Sklave hat keine Ehre, und er hat in den Augen der Götter auch keinen Geist. Das mußt du gewußt haben, Kevin von Zûn.« Sie sprach den Namen voller Sarkasmus aus. »Du hast dein Los gewählt und dich entschieden, die Ehre abzulegen. Wenn du es nicht gewollt hättest, wärest du gestorben, bevor dich ein Feind hätte gefangennehmen können.« Sie hielt einen Augenblick inne, als ihr ein anderer Gedanke kam. »Oder bist du möglicherweise ein Vasall eines mächtigeren Hauses, dessen Lord dir die Erlaubnis versagt hat, durch das eigene Schwert zu sterben?«
Kevin hob verdutzt die Augenbrauen; einen Moment lang war er ehrlich verblüfft. »Was? Ich bin nicht sicher, ob ich Euch verstehe.«
Mara wiederholte ihre Frage in einer Art, die auch ein Kind verstanden hätte. »Hat sich dein Haus als Vasall einem anderen verpflichtet?«
Kevin reckte seinen Rücken und zuckte vor Schmerzen zusammen, dann strich er mit einer Hand über den feuchten Bart. »Zûn hat natürlich dem König in Rillanon die Treue geschworen.«
Die Lady nickte, als wäre damit alles geklärt. »Dann hat dir dieser König verboten, dich in dein Schwert zu stürzen, ja?«
Für Kevin war das alles mehr und mehr ein Rätsel, und er schüttelte den Kopf. »Mich in mein Schwert stürzen? Warum sollte ich? Ich mag zwar der dritte Sohn eines niederen Ed – äh, Mannes sein, doch ich benötige nicht die Erlaubnis meines Königs zur Rechtfertigung einer völlig blödsinnig erscheinenden Handlung.«
Jetzt war es Mara, die ihn überrascht ansah. »Haben deine Leute denn keine Ehre? Wenn du die Wahl hattest, warum hast du zugelassen, in die Sklaverei zu geraten?«
Kevin spürte die unangenehm anschwellenden Striemen, während er die kleine Frau ansah, die das Schicksal zu seiner Herrin bestimmt hatte. Er zwang sich zu einem Lächeln und sagte: »Glaubt mir, Lady, ich hatte keine Wahl, sonst
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