Der Sklave von Midkemia
sie war jetzt ganz und gar von der Notwendigkeit überzeugt, mehr über diese Barbaren erfahren zu müssen.
Sie schickte ihren Läufer mit dem Auftrag los, einen anderen Aufseher zu finden, der sich um die Barbaren kümmern und dafür sorgen sollte, daß sie endlich die Blumen schnitten, wie sie es schon längst hätten tun sollen. Dann wandte Mara ihre Aufmerksamkeit wieder Kevin zu.
»Erzähl mir, wie die Bediensteten dort, wo du geboren bist, ihre Herrscher und Herrscherinnen behandeln«, befahl sie.
Der Barbar antwortete mit einem herausfordernden Lächeln.
Seine Augen wanderten kühn über Maras Körper, der nur mit einer fast durchsichtigen Seidenrobe bedeckt war. »Zunächst einmal«, sagte er heiter, »würde eine solche Kleidung, wie Ihr sie vor Euren Bediensteten tragt, als Aufforderung der Lady verstanden werden, sie zu …« Er suchte vergeblich nach einem Wort, dann redete er weiter: »In meiner Sprache ist es kein höflicher Begriff. Ich weiß nicht, wie Ihr auf Kelewan damit umgeht, doch da Ihr mir ohne einen Gedanken alles zeigt, was Ihr habt, nehme ich an, daß solche Dinge hier offensichtlich einen anderen Stellenwert haben.«
»Wovon redest du ?« fragte Mara scharf. Ihre Nerven waren bis aufs Äußerste gereizt.
»Wovon wohl …« Er fuhr mit der Hand zu seinem schmutzigen Lendenschurz, dann streckte er den ausgestreckten Zeigefinger empor. »Was Männer und Frauen tun, um Kinder zu bekommen.« Er deutete in die Richtung ihrer Lenden.
Mara riß die Augen auf. Zwar hatte sie Schwierigkeiten, in ihm den Sklaven zu sehen, doch ihm bereitete es offensichtlich keine Probleme, in ihr die Frau zu erkennen. Mit gefährlich leiser Stimme sagte sie: »Mit einer solchen Andeutung, und sei sie auch noch so versteckt, könntest du leicht deinen langsamen und qualvollen Tod herbeiführen, Sklave! Der erniedrigendste ist der durch den Strang, doch wenn wir die Leidenszeit der Verdammten verlängern wollen, hängen wir sie an den Füßen auf. Es gibt Männer, die sollen zwei Tage so ausgehalten haben. Eine sehr unangenehme Art zu sterben, mit einem Haufen heißer Kohlen genau unter deinem Kopf!«
Kevin erkannte Maras Ärger und versuchte hastig, seine Aussage etwas abzuschwächen. »Natürlich herrscht in Zûn ein viel kühleres Klima, als Ihr es gewohnt seid.« Er geriet ins Stocken, während er nach unbekannten Worten suchte oder nach ähnlichen Begriffen in seiner eigenen Sprache, wenn der Tsurani-Wortschatz etwas nicht vermitteln konnte.
»Wir haben Winter und Schnee und kalten Regen während der anderen Jahreszeiten. Die Frauen in meinem Land müssen dicke Kleider und Tierhäute tragen, um sich zu wärmen. Daher ist der unbekleidete weibliche Körper etwas … etwas, das wir nicht oft zu sehen bekommen.«
Mit blitzenden Augen lauschte Mara dem Sklaven. »Schnee?« Sie sprach das barbarische Wort ungeschickt aus. »Kalter Regen?« Dann drang vollständig in ihr Bewußtsein, was er gesagt hatte. »Tierhäute? Ihr meint Felle? Leder, von dem die Haare nicht abgeschabt wurden?« Ihre Wut war bereits wieder verflogen.
»So ähnlich«, sagte Kevin.
»Wie seltsam.« Mara dachte darüber nach wie ein Kind, das einem Wunder gegenüberstand. »Solche Kleidung muß unangenehm schwer sein, ganz zu schweigen davon, wie schwierig es für die Sklaven ist, sie zu waschen.«
Kevin lachte. »Man wäscht Felle nicht, wenn man sie nicht ruinieren möchte. Man klopft den Staub heraus und läßt sie in der Sonne lüften.« In ihrem Gesicht spiegelte sich wieder leichter Groll darüber, daß er sich über ihre Unwissenheit erheiterte, und er fügte schnell hinzu: »Wir haben keine Sklaven in Zûn.« Bei diesen Worten wurde seine Stimmung düsterer und gedrückter. Die Schultern brannten noch von den Peitschenhieben, und trotz der gepolsterten Kissen hatte er Schmerzen vom langen Sitzen. »Im Kaiserreich Kesh gibt es Sklaven, doch im Königreich ist die Sklaverei durch Gesetze sehr eng begrenzt.«
Wodurch sich der schwierige Umgang mit den Midkemiern zu einem guten Teil erklären ließ, dachte Mara im stillen. »Wer erledigt dann die niederen Arbeiten?«
»Freie Menschen, Lady Wir haben Bedienstete, Leibeigene und kleine Landbesitzer, die ihren Lords verpflichtet sind. Außerdem gibt es Städter, Kaufleute und Gildenmitglieder.«
Die knappe Erklärung genügte Mara nicht, und sie forderte den Midkemier auf, nähere Einzelheiten zu berichten. Reglos saß sie da und lauschte, während er ausführlich die Struktur der
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